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schmack,demRock’n’Roll,widmenundsichausRainersFachgebiet,demJazz,
heraushalten soll. Hier greift einHauptmechanismus des subkulturellenKapi-
tals,vondemThornton inAnlehnunganBourdieuskulturellesKapital spricht:
Subcultural capital confers statuson its owner in the eyesof the relevant beholder. It af-
fects thestandingof theyoung inmanyways like itsadult equivalent. […] Justascultural
capital is personified in ‚good‘manners andurbane conversation, so subcultural capital
isembodied in the formofbeing ‚in theknow‘225.
NachdiesemMusterbetontRainer, Camus’DerFremdenurgemeinsammitder
von ihmverehrten Sophie „und sonst niemandem“ zu lesen, auchwill er „ihr
alleine jetzteinige Ideenfürdie InterpretationderPestvonCamusanvertrauen,
weil sie das als nächstes zusammen lesenwerden. Sie darf es nicht weitersa-
gen.“226Während sichdie Figur Sophie dieser Gunst kaumalswürdig erweist,
fühlensichandereEmpfängerInneneinessolchenInsider-Wissensaufgewertet,
etwadas Ich inBrigitte Schwaigers ErfolgsromanWie kommtdas Salz insMeer
(1977):
Ichwollte wissen, was ermeinte, als er einmal sagte: Du bist fürmichwahrscheinlich,
was für Caligula der Mond ist. Karl hat Sartre und Camus gelesen. Ich habe alle Briefe
aufbewahrt, dieermirgeschriebenhat. Ichwar so stolz, daßeinermirBriefe schrieb,die
sogescheitwaren,daß ichsienichtverstand.227
JohannesMarioSimmelsRomanLiebe istnureinWortgeht,denPygmalion-My-
thos variierend, noch einen Schritt weiter, indem er denHelden ein Kindmit
existentialistischerLektürezuseinem ‚Geschöpf‘ formenlässt:
Darumunterhalte ichmichmitChichitaüber JaspersundSartre,Oppenheimer,den ‚Ver-
rat imzwanzigsten Jahrhundert‘, dieKollektivschuld,Brecht,undsoweiter.“„Davonver-
steht sie doch noch keinWort, Noah!“ „Das sagen Sie nicht, Herr Doktor! Ich habe ihr
Camus gegeben. UndMalraux. Und Koestler. Sie haben recht, vieles versteht sie nicht,
auchwenn sie behauptet, alles zu verstehen. Aber eineMengebleibt dochhängen, eine
Menge versteht sie – unbewußt, unterbewußt. Es wird ihr nie bewußt werden, aber sie
wirdeinmalsohandeln,wiezumBeispielCamusgedachthat. Istdasschlecht?228
225 Thornton:TheSocialLogicofSubculturalCapital, 202f.
226 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 196,254.
227 BrigitteSchwaiger:WiekommtdasSalz insMeer.Reinbek1979,S. 52. InSchwaigersSpät-
werkFallen lassen (Wien2006,S. 22) tauchenerneutExistentialistInnenauf,nunalsbeliebter
Bibliotheksbestandder psychiatrischenEinrichtungBaumgartnerHöhe (‚Steinhof‘): „Wer ein
Buch bringt, um es dann der Bibliothek einzugliedern, Camus etwa, Jandl, Sartre, der findet
das Buch schonnach zehnMinutennichtmehr. Patientennehmen esmit bei der Entlassung
oderhinterlassendasExemplarmitnurnochhalberSeitenanzahl.“
228 JohannesMarioSimmel:Liebe istnureinWort.München,Zürich1963,S.455.
5.2 LiterarischeDarstellungendesExistentialismusals Jugendkult 137
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur