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qu’il a d’exprimer l’horreur de certaines situations intellectuelles“), bereits „un
Kafka français“5. Grundlage für das Inbezugsetzen ist für Peter Zimadie erstma-
lige Darstellung einer Wirklichkeit, „die alle gesellschaftlichen Sinngebungen
undWertsetzungennegiert, eineWirklichkeit, inderauchdie ‚Innerlichkeit‘und
das Unbewußte gleichgültig sind“6. Hinzu kommt die Schlichtheit von Kafkas
Stil, der,mit einemWortMichael Hamburgers, frei „of all the paraphernalia of
bourgeois decorum“7 etwa eines ThomasMann ist. Schildern Sartre und Kafka
mit Roquentin (La Nausée) und Josef K. (Der Process, 1925) Helden, denen ihr
gewohntes Lebenbinnen kurzer Zeit entgleitet, geht Kafka imMoment der Ent-
fremdung– inseinerauchinL’Êtreet leNéantaufgegriffenen„Beschreibungun-
seres Innerweltlich-seins-für-Andere“8 („description de notre être-au-milieu-du-
monde-pour-autrui“9)–überSartrehinaus,soBeauvoir:
Die ErlebnisseK.swarenganz anders– viel extremerundauswegloser– als dieAntoine
Roquantins [!]. In beiden Fällen jedoch schaffte der Held sich so viel Distanz zu seiner
gewohnten Umwelt, daß für ihn diemenschliche Ordnung zusammenbrach und er ein-
saminunheimlichemDunkeldahinvegetierte.10
(L’aventuredeK… était trèsdifférente–beaucoupplus extrêmeetplusdésespérée–que
celle d’Antoine Roquantin [!];mais, dans les deux cas, le héros prenait, par rapport à ses
entours familiers, unedistance telle quepour lui l’ordrehumain s’effondrait et qu’il som-
brait solitairementdansd’étranges ténèbres.)11
LeProcès, demdie französischeKritikbei Erscheinen 1933wenigAufmerksam-
keit schenktundbeispielsweiseklarHansFalladavorzieht, sei für sieundSar-
5 PaulNizan: LaNausée, un romandeM. Jean-Paul Sartre. In: Ce soir, 15.05.1938.Allerdings
sieht er Sartres Werk im Gegensatz zu jenem Kafkas als „moralischen Fragen vollkommen
fremd. Kafka hat sich immer über den Sinn des Lebens Gedanken gemacht, Herr Sartre nur
über die Tatsache der Existenz, welche eine viel unmittelbarere Art von Realität ist als die
menschliche und soziale Ausgestaltung des Lebens, welche unterhalb des Lebens liegt.“
[Übers.d.Verf.] („[…] entièrementétrangèreauxproblèmesmoraux.Kafkas’est toujours inter-
rogésur lesensde lavie,M.Sartrenes’interrogequesur le faitde l’existence,quiestunordre
de réalitébeaucoupplus immédiatque les élaborationshumaineset socialesde lavie, qui est
endeçade lavie.“)
6 PeterV.Zima:DergleichgültigeHeld.TextsoziologischeUntersuchungenzuSartre,Moravia
undCamus.Trier2004,S. 187.
7 Michael Hamburger: FromProphecy to Exorcism. ThePremisses ofModernGermanLitera-
ture.London1965,S.94.
8 Sartre:DasSeinunddasNichts,S.479.
9 Sartre:L’Êtreet leNéant,S.305.
10 SimonedeBeauvoir: Indenbesten Jahren.DeutschvonRolfSoellner.Reinbek1987 [1969],
S. 160.
11 Beauvoir:LaForcede l’âge,S. 214.
148 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur