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spiel, als der Figur Cottard die Lektüre über dasUnrecht desAngeklagten Josef
K.,derbeisich„nichtdiegeringsteSchuldauffindenkann“36,nahegeht:
‚Aber ich las in diesemRoman.Da ist so ein armerKerl, derwird einesMorgens einfach
verhaftet.Mankümmerte sichum ihn, und erwußte nichts davon.Man sprach von ihm
indenAmtsstuben,manschriebseinenNamenaufZettel.FindenSiedasgerecht?Finden
Sie,daßmandasRechthat,einemMenschensoetwasanzutun?‘37
(‚Mais je lisais ce roman.Voilàunmalheureuxqu’onarrêteunmatin, toutd’uncoup.On
s’occupait de lui et il n’en savait rien. On parlait de lui dans des bureaux, on inscrivait
son nom sur des fiches. Vous trouvez que c’est juste? Vous trouvez qu’on a le droit de
faireçaàunhomme?‘)38
Die Frage erhält Gewicht auch angesichts der um sich greifenden Pest, durch
die sichdieEinwohnerInnenOrans„einesunbekanntenVerbrechenswegenzu
einerunvorstellbarenGefangenschaftverurteilt“39 („condamnés,pouruncrime
inconnu,àunemprisonnement inimaginable“40) fühlen.
Nicht wenige Erzählungen in Stimmen der Gegenwart zeugen von einem
solchenVerschwinden verlässlicher Kausalitäten, „vonder Fremdartigkeit des
Lebens, von dem Labyrinth Welt“41 als verbindende Linie zwischen den Au-
toren Camus, Sartre undKafka, die sich teils auch durch direkte Nennung of-
36 FranzKafka:DerProcess.Hg.vonMichaelMüller.Stuttgart2014,S. 16.Cf. zurSchuldthema-
tik beiKafkaundCamusdasKapitel „Elders, InstitutionsandExistentialGuilt in theFictionof
FranzKafkaandAlbertCamus“ (S. 119–162) inDavidTenenbaum: IssuesofShameandGuilt in
theModernNovel.Conrad,Ford,Greene,Kafka,Camus,Wilde,Proust, andMann.WithaFore-
word by Adrian S.Wisnicki. Lewinston, Queenston, Lampeter 2009. Cf. auchWolfgang Kraus
(Hg.):DasSchuldproblembeiFranzKafka. (SchriftenreihederFranz-Kafka-Gesellschaft6.)Wien
etal. 1995.
37 AlbertCamus:DiePest.DeutschvonGuidoG.Meister.Reinbek1970[1950],S.46.
38 Camus: La Peste, S. 59. Eine ebenfalls „Unbehagen“ auslösende fiktive Kafka-Lektüre-Er-
fahrungbietetMarlenHaushofersErzählung„PorträteinesaltenMannes“:„SeineNichtehatte
ihmvoreinigerZeit einBuchgeborgt, ein langweiliges,unlesbaresBuch,aber einpaarSeiten
davonwaren ihm inErinnerunggeblieben. IrgendeinMenschverwandelt sich in einen riesen
Mistkäfer oder dergleichen.DerMann, der dasBuchgeschriebenhatte,mochte einNarr sein,
aber an dieser einenGeschichtewar etwas dran. […] Zwischen fünf undhalb sechsUhrmor-
gens dachte er jetzt häufig an den Kerl, dem diese üble Verwandlungwiderfahrenwar, voll
Mitgefühl und Schadenfreude, immer aberwie an einen Schicksalsgefährten.Wurde denn er
selber, auf demRücken liegend, das Federbett über den Bauch gewölbt, zur Decke starrend,
jenemKäfer nicht vonTag zuTag ähnlicher.“MarlenHaushofer: Porträt eines altenMannes.
In:Haushofer:SchrecklicheTreue [1968].Hildesheim1992,S. 176–182,hierS. 177.
39 Camus:DiePest,S.60.
40 Camus:LaPeste,S.96.
41 Basil:Stimmeder Jugend. In:Plan1 (1946),Nr.4,S.307.
154 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur