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rature?DergeteilteHangzumEntsetzenbleibtnichtunbemerkt, schondie frü-
heste österreichische Berichterstattung zum „existenziellen Pessimismus“47
Sartres,Ende1945, setzt ihnmitKafka inBezug:„InSartreundCamuskommt
der französische ‚Existenzialismus‘ zuvollemAusdruck, eineTheoriedesPes-
simismus, die weitläufig von Jaspers, Heidegger, Dostojewsky und Franz
Kafka stammt.“48 ImWiener Kurierwird der Existentialismus gar als einWie-
deraufleben eines von Kafka geprägten (ergo „österreichischen“) Denkens
dargestellt:
Manhat schonvonder ‚Mode‘derExistenzphilosophiegehört, die sich inFrankreichum
den Namen Jean Paul Sartre drängt. Aber nur die Mode ist neu und sensationell. Die
Sache spricht sichbereits seit Jahrenherum.SoerlebenwirdasMerkwürdige,daß inder
geistigenWelt Frankreichs, Englands und Amerikas die Ideen des Österreichers Kafka,
der eindichtenderPhilosophwar, unddesDeutschenHeidegger, der nebenScheler und
JaspersderHauptvertreterderneuenExistenzphilosophie ist,mit einerEnergiedebattiert
werden,dieüberdasTheoretischeweithinausgeht.49
Es ist Sartres„vielleichtnurmitKafkazuvergleichendemehr-als-realistische […]
Eindringlichkeit“50, die ihm einen Platz in den Nachkriegsperiodika sichert,
nicht seltenmit dem literarischen Idol in einemHeft. Esüberwiegt allerdings in
der österreichischen Kafka-Aufnahme bisweilen das phantastisch-groteske Mo-
ment, das „im Zeichen einer neuen Beziehung zurWirklichkeit“ steht, die der
StimmenderGegenwart-HerausgeberHansWeigelwie folgtbeschreibt:
Sowiewir allmählich zu erkennen hatten, daß die „fortschrittliche“ Partei „ganz links“ in
Wahrheit die reaktionärste ist, müssenwir auch die als solche bezeichnete „Wirklichkeits-
nähe“, die „naturalistische“ Schule, die „realistische“ Darstellungsweise mit Argwohn als
äußersteFormderStabilisierungerkennen lernen.DerTraum,dieUtopie,dieblutigeSatire,
derAlpdrucksindheuteechter, authentischer,wirklicheralsReportagenundStenogramme.
DieWochenschaulügt,derunartikulierteAufschreistimmt.51
47 [P.A. Stephano:] Der Ruf von draußen. I. Die Wiederkehr Franz Kafkas. In: Der Turm 1
(1946),Nr.6,S. 149–151,hierS. 151.
48 –r.: Frankreich: Die neue Situation. In: Der Turm 1 (1945), Nr. 4/5, S. 111. Auch eine Eng-
führungdesWerksKafkasmit jenemHeideggers istgelegentlichzubeobachten.Daraufangespro-
chen, ob er „Kafka, dessenRomanevon seiner Philosophiedurchdrungen sind“, lese, entgegnet
Heidegger 1949 in einem Kulturelles-Interview (Luce-Michèle: Heidegger weigert sich Sartre zu
lesen, 21.11.1949): „‚Kafka?Nein, von ihmhabe ich auchnichts gelesen. Ichwarte ständig, dass
manmirseineWerkezukommenlässt,umdiebehaupteteÄhnlichkeitunsererGedankenzuüber-
prüfen…‘.“
49 –n: Zwei Bücher ausÖsterreich. ZurweltanschaulichenSituationunserer Zeit. In:Wiener
Kurier, 28.03.1946.
50 Améry: IndieWeltgeworfen,S. 193.
51 HansWeigel:DiegefundeneGeneration. In:Kontinente7 (1953),Nr. 1,S. 13–14,hierS. 13.
156 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur