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ThomasBernhard,vertreten indenJahrbüchern1954und1956mit seinenErzäh-
lungen „Großer, unbegreiflicher Hunger“ und „Der Schweinehüter“, diagnosti-
ziert in seinem Artikel „Junge Dichter in Österreich“ (zu denen kriegsbedingt
„auchnochdie 40jährigen zu zählen sind“120), dass die Stimmender Gegenwart-
Texte„durcheinentiefenPessimismusgekennzeichnetsind“,wenigüberraschend
beiDichterInnen,diemit „Wassersuppeund trockenemBrot,mit geflicktenHem-
den und durchlöcherten Schuhen“121 vorlieb nehmenmüssen. Vonmangelndem
EinfühlungsvermögenzeugtesauchfürWeigel,„dieGreisenhaftigkeitunddieUn-
tergangsstimmung“ zubeanstanden: „EhemanDepressionundNihilismusverur-
teilt, seheman einmal diesen Jungen zu, wie sie leben.“122 Zu den betrüblichen
privaten Lebensumständen tritt laut Okopenko der lähmende zeitgeschichtliche
Zustand, in dem sich auch die Auseinandersetzungmit der Existenzphilosophie
vollzieht:
Durchdringungmit angelesenemGedankengut undeigenesDurchdenkender Situation
führtenzuResignationserlebnissen:DiepolitischeLageÖsterreichsundderWelt schien
für Jahrtausende festgefrorenundvonMenschen, diekeineAtombombebesaßen,nicht
beeinflußbar; andererseits war die erste Unmittelbarkeit von Schreck und Not vorbei;
die Parteien–des kaltenKriegesundder Innenpolitik– reiztenallenicht zurHingabe;
durch Zustimmung und Ablehnung hindurch spürte manmanchmal unsere Isolation
und die letztliche Wirkungslosigkeit unserer Mühen; in gemeinsamer Erfahrung von
Kierkegaard, Sartre, Unamuno, Borchert wurden die unangenehmenVerhalte umTod,
Problematik des Lebenssinns und Grenzen der Liebe besonders sensibel wahrgenom-
men; quasi existentialistischeMaterie verdrängte die aktivistische, zeitkritische; echter
Pessimismuszuweilendenvermeintlichen,dennurDummköpfe inPolemikundRealis-
muserblickthatten.123
Die Sartres als optimistisch ausgegebenemDenken („un optimisme“124) wider-
sprechenden,abergemeinhinverknüpftennegativenAssoziationen (cf.Kap. 7.3)
sorgendafür, dass die junge österreichische Literatur–die „eine erschütternde
Ratlosigkeit, eine bedrückende Primitivität desDenkens, eine ungeheure Resig-
nation“125 auszeichne,mehrnoch: „einChaos vonDesillusionierung, Zynismus,
Fanatismus,Gleichgültigkeit,Nihilismus, Schwermut, persönlicherundkollekti-
ver Angst, das durch die soziale undweltpolitische Situation gegenwärtig noch
120 ThomasBernhard [Th.B.]:BücherwartenaufDich! In:Bernhard:Werke,Bd. 22/1, S. 88–90,
hierS.89. [Zuerst in:DemokratischesVolksblatt,29.11.1952.]
121 Bernhard: JungeDichter inÖsterreich,S. 13.
122Weigel:Autoren,dieunsnichterreichen. In:Arbeiter-Zeitung,24.09.1950.
123 Okopenko:DieschwierigenAnfängeösterreichischerProgressivliteraturnach1945,S. 10.
124 Sartre:L’Existentialismeestunhumanisme,S.78.
125 Basil:Stimmeder Jugend. In:Plan1 (1946),Nr.4,S.307.
6.2 Kontinuitätals/stattNeuanfang 169
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur