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Nationalsozialistenwaren. Jetzt schiebensiealleSchuldaufuns.Siesindeincharakterlo-
sesVolkundichmagnichtsmit ihnenzutunhaben.234
AlsweitereBeispieleblickenErnstLotharsDieRückkehr (1949)undReinhardFe-
dermannsDasHimmelreich der Lügner (1959) nicht nur auf die jüngereVergan-
genheit, sondern auch auf die mehr oder minder verborgene Kontinuität des
Faschismus inderGegenwart. Die zeitlicheDifferenzierungmacht einengroßen
UnterschiedangesichtsderspezifischenSituationÖsterreichs, soMcVeigh:Erüb-
rige sich de facto durch den Opferstatus die Aufarbeitung der Phase 1938 bis
1945, sei der Fortbestand nationalsozialistischer Gesinnung umso problemati-
scher,seineSichtbarmachungdurchdieLiteraturumsoessentieller.235DieLitera-
tur leistetdieseAufgabe imWesentlichenallein,bemerkt IngeborgBachmannin
ihremVorreden-EntwurfzumRomanDerFallFranza:
DieMassaker sind zwar vorbei, dieMörder nochunter uns, oft beschworenundmanch-
mal festgestellt, nicht alle, aber einige, inProzessenabgeurteilt.DieExistenzdieserMör-
der ist uns allen bewußt gemacht worden, nicht durch mehr oder minder verschämte
Berichterstattung,sondernebenauchdurchdieLiteratur.236
Jenen „Mördern und Irren“, die auch in Bachmanns gleichnamiger Erzählung
aus Das dreißigste Jahr (1961) nach dem Krieg „das Beste, was wir verloren
haben“237, weiterjagen, lässt Michael Guttenbrunner schon 1953 sehr klare
Wortezuteilwerden:
DiegegeneucherhobenenKlagenderungezähltenTode,durchGewaltundList bewirkt,
sind vomWind verweht, seit ihr wieder die ‚Alten‘ seid: Bürger und Bürgen einer Ord-
nung,demLebenvorgesetzt,wiederGalgender ewigenSeligkeit. Vergessen ist,wasder
vonKopf zuKopf einzelnundeinsamarbeitendeHenkermitBlut ins Licht gekeltert hat.
JedemunbarmherzigenMitknecht, der seinenbarmherzigenRichter schongefundenund
auch schonwieder vergessenhat, stehn eure Türenoffen. […] Ich aber sage:DieMörder
sindunteruns.238
234 FritzHabeck:DerRitt auf demTiger.Hamburg,Wien 1958, S. 545f.Wenig später kritisiert
die Erzählinstanz: „Auchdie Atrappe [!] des österreichischenMenschenwurdewieder aus der
Requisitenkammergeholt, undmanentdeckte, daßman jagarnicht deutsch, sondernösterrei-
chisch spreche, nanntedas alteDeutscheVolkstheater nurmehrVolkstheater und verwendete
dasWortDeutschnurmehralsKennzeichnungfürminderwertigeCharakterzüge.“ (S.550).
235 Cf.McVeigh: Kontinuität undVergangenheitsbewältigung in der österreichischen Litera-
turnach1945,S. 198.
236 IngeborgBachmann:DerFallFranza.RequiemfürFannyGoldmann.München51986,S.9f.
237 Ingeborg Bachmann: Unter Mördern und Irren. In: Bachmann: Sämtliche Erzählungen,
S. 159.
238 MichaelGuttenbrunner:Absage. In:StimmenderGegenwart, 1953,S.118–121,hierS.118f.
192 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur