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zierung annehmen würde, antwortet Nossack, er sei „zu unphilosophisch“,
umdieszuermessen:
Das ist,historischgesehen,ganzeinfach,weilSartreden ‚Untergang‘schon47 indie ‚Temps
Modernes‘übernahm.AlsdieLeutedashörten, sagtensie:Aha, einExistentialist.Dahatten
sie einen Aufhänger. Ich wußte noch nicht einmal, was das ist: Existentialismus. Das ist
genau die historische Entwicklung, dadurch, daß Sartre das gemacht hat. Ichmeine, viel-
leichtbin ich inseinemSinneExistentialist, aber ichselbstweißdasnichtgenau.Undwenn
Leutemich fragen:Was ist das eigentlich,Existentialismus?Dannsage ich: Ja, ichweißdas
auchnichtgenau.DaskönnenSiemirglauben:so istdasgekommen.324
Zwar spielt Sartre als engagierter Intellektueller für den LiteraturbetriebNach-
kriegsdeutschlands eine wesentliche Rolle325 und wird vielen „zum Leitbild
ihres Selbstverständnisses“, doch nimmt laut Rahner eigentlich nur die
„Gruppe47“dasexistentialistischeDeutungsangebot„einhelligpositiv“326 auf.
Großes Gewicht kommt in diesem Zusammenhang Alfred Andersch zu, der in
der an sichprogrammlosenGruppe „das einzige erfrischendeWiderstandszen-
trumder reichlich angejahrten Literaturjugend“327 sieht, antretend gegen „ge-
wisse Snobs der älteren ästhetischen Schule“, die „demVerfasser vonWas ist
Literatur?mangelsArgumentennurnochmit einem larmoyantenLächeln“be-
gegnen. HansWerner Richter, dessen Lebenswerk die Gruppe ist, setzt eben-
fallsaufLiteratur„alsgesellschaftspolitisches Instrument“328, sodassdieTexte
324 ManfredDurzak: Gespräche über denRoman,mit JosephBreitbach, Elias Canetti, Hein-
rich Böll, Siegfried Lenz, Hermann Lenz,WolfgangHildesheimer, Peter Handke, Hans Erich
Nossack, Uwe Johnson, Walter Höllerer. Formbestimmungen und Analysen. Frankfurt am
Main1976,S.375.
325 Cf. ThomasErnst: Literatur undSubversion. Politisches Schreiben inderGegenwart. Bie-
lefeld2013,S. 26.
326 Rahner:Selbst-undFremdwahrnehmungsmuster,S. 131f.
327 Andersch: Jugend amSchmelzpott einer Kultur, S. 286f. Anderschs intensive Auseinan-
dersetzungmit demExistentialismus ist inzwischenweitgehenduntersucht; cf.NormanÄcht-
ler: Zwischen Existenzialismus und Strukturalismus, Engagement und Degagement –Alfred
AnderschsPoetikdesBeschreibens. In:Ächtler (Hg.):AlfredAndersch.EngagierteAutorschaft
im Literatursystem der Bundesrepublik. Stuttgart 2016, S. 111–131. Cf. auch Anja Koberstein:
„Gott oder das Nichts“. Sartre-Rezeption im frühenNachkriegswerk von Alfred Andersch im
KontextderzeitgenössischenExistentialismusdiskussion. (BeiträgezurLiteraturundLiteratur-
wissenschaft des 20. Jahrhunderts 15.) Frankfurt amMain et al. 1996. Cf.weiters JörgDöring:
WestdeutscherNachkriegsexistentialismus imFrühwerk vonAlfredAndersch. In: Braese und
Vogel-Klein (Hg.):ZwischenKahlschlagundRiveGauche,S. 125–152.
328 Sabine Cofalla: Die Gruppe 47: Dominante soziale Praktiken im literarischen Feld der
BundesrepublikDeutschland. In: JochundWolf (Hg.):TextundFeld.Bourdieu inder literatur-
wissenschaftlichenPraxis. (StudienundTexte zur Sozialgeschichte der Literatur 108.) Tübin-
gen2005,S.353–369,hierS.367.
6.4 LittératureengagéezwischenSprachskepsisundEngagement 209
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur