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NachdemdiemeistenkatholischenVermittlerInnengegenüberdemExistentia-
lismusdie Funktion erfüllen, „Feindbilder heraufzubeschwörenunddurchdie
Ablehnung eines Gegenmodells die eigene Kultur zu definieren“167, wählen
manche denWeg, versöhnliche Interpretationen zu ersinnen und die Philoso-
phie für sich zu vereinnahmen.Wieder ausGraz stammendeund inTübingen
lehrendeTheologeGottholdHasenhüttl in seinemBuchGottohneGott. EinDia-
logmit J.-P. Sartre (1972) zu verstehen gibt, ist Sartre „der einzige Denker des
Existentialismus, dessen Philosophie ständig von der Gottesfrage bewegt ist“:
„Kein atheistischer Philosophunserer Zeit hat so viel vonGott gesprochenwie
J.-P.Sartre.KeinerhatdieSinnfrageunseresLebenssostarkmitderGottesfrage
verbunden wie er.“168 Wie zur Bestätigung fügt er seiner Studie Sartres in
Kriegsgefangenschaft verfasstes,weitgehendunbekanntesWeihnachtsspielBa-
riona, ou le Fils du tonnerre (1940) bei, von ihm selbst übersetzt (als Bariona
oderDerDonnersohn).
Von der Auffassung Sartres als beständig von der Gottesfrage bewegtem
Denker zu einem quasi-gläubigen Menschen ist der Schritt klein: „Er ist ein
Gottsucher,Hochwürden, dieser Sartre, einGottsucher auf seineArt“, heißt es
in Herbert Rosendorfers RomanMartha. Von einem schadhaften Leben, nach-
dem das Auffinden eines Sartre-Werks für allgemeine Verunsicherung sorgt:
„aberdiesesBuchkam ihr verdächtig vor: ‚Sartre‘ standaufdemUmschlag. […]
[E]swar ihrganzähnlichwie ‚Satan‘vorgekommen“169.DieArgumentationslinie
kommtauchaußerhalbderFiktionals geschickterPräventivzuggegenmögliche
Skepsis zurAnwendung: EduardStur empfiehlt denLeserInnen seinerDisserta-
tionDerBegriff derFreiheit bei JeanPaulSartre, sie solltender„Stimmeder ‚Un-
gläubigen‘“ zuhören,dennesgeheSartre „umdieFindungeinesHeilswissens“,
also„umeineThematik,dieeigentlicheineoriginärchristlicheist“170.
Das InbezugsetzenvonExistentialismusundReligion,diePräsentationder
Philosophieals säkulareReligion,171 als ‚TheologieohneGott‘172, bietet sichun-
geachtet der jeweiligen Absichten als probates Mittel, um Sartres Denken an
denLebenskontextderRezipientInnenanzunähern.AuffallendhäufigwirdSar-
tremetaphorisch zu einem religiösen Oberhaupt erhoben, einer Gottheit oder
einemHeiligen, zum „Literaturpapst Jean-Paul Sartre“, zum „Existentialisten-
167 Espagne:DieRollederMittler imKulturtransfer,S.312.
168 GottholdHasenhüttl:GottohneGott.EinDialogmit J.-P.Sartre,mitdemWeihnachtsspiel
BarionaoderDerDonnersohn.Graz,Wien,Köln1972,S. 13, 11.
169 HerbertRosendorfer:Martha.VoneinemschadhaftenLeben.München2014,S.99.
170 Stur:DerBegriffderFreiheitbei JeanPaulSartre,S. 1f., 3.
171 Cf.RaymondAron:L’Opiumdes intellectuels.Paris 1955,S.334.
172 Cf.Broch: Jean-PaulSartre.L’Êtreet laNéant,S. 277.
7.3 KatholischeKritikoder:DerExistentialismusalsNihilismus 263
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur