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Dass der politisch aktive Sartre nach 1945 kaummehr Zeit für Prosa fin-
det,39 neue Theaterstücke jedoch weit über das Kriegsende hinausreichen,
weckt bei KritikerInnen denVerdacht, dass Letztere primär politische Absich-
tenverfolgen.Nachdemfüreinige JahrevomjungenTheater geradezuerwartet
wurde, unmittelbar aus dem gegenwärtigen Leben zu schöpfen (es gibt,
schreibt Peter Rubel 1946/47 imPlan, „kein eigentlich ‚unpolitisches‘Theater:
jede Kunst ist irgendwie immer auch ‚politisch‘“40), sorgt ein solcherModus im
ZugederVerschärfungdesKaltenKriegs zunehmend fürUnmut. Sobehauptet
Chastaing, fürSartre seidieLiteratur„einHeilmittel gegendieMängelderphi-
losophischenAusdrucksweise“, die zu komplex für propagandistische Zwecke
sei; daraus erkläre sich, „daß die Philosophen sich heutzutage in Dramatiker
und Romanciers verwandeln, damit die Leser und Zuschauer zuMitarbeitern,
jaKomplizen ihrer Philosophiewerdenkönnen.“41 Der ersteL’Être et leNéant-
Übersetzer Justus Streller stimmt 1952 so weit zu, dass Sartres Anliegen „aus
seinen Dramen erschlossen werden“ müssen, die „als Anwendungs- oder
Demonstrationsbeispiele der Sartreschen Philosophie“ gelten können, aller-
dings: „Die Ansichten darüber, was er eigentlichmeint, gingen ziemlich weit
auseinander,weil dieDramen auf dieMenschen verschiedenwirktenund ver-
schiedengedeutetwurden.“42 FürdieseBemerkung liefert dieRezeption inÖs-
terreich, wo Sartre besonders „durch dieses oder jenes Theaterstück“43 und
durch die begleitende, das dramatische Polarisierungsvermögen oft potenzie-
rende Berichterstattung bekannt geworden ist, den eindrücklichsten Beweis:
Die schmutzigenHände–mit Inszenierungsabsagen,medialenGefechten,Boy-
39 Dies liege laut Sartre jedochnuranZeitnot, nicht anDesinteresse: „IchhabeRomaneund
Theaterstücke schreibenwollen, lange bevor ichwußte,wasPhilosophie ist. Ichwill es noch
immer, ich habe esmein ganzes Leben gewollt.“ („J’ai voulu écrire des romans et du théâtre
bien longtempsavantdesavoir cequ’était laphilosophie. Je leveuxencore, je l’ai voulu toute
ma vie.“) Sartre: Literatur als Engagement für dasGanze, S. 11. (Sartre: Les Écrivains en per-
sonne,S. 13.) SartresProsawerkumfasstdenRomanLaNausée (1938)unddieErzählungenLe
Mur (1939),woraufdieRomantrilogieLesCheminsde la liberté, bestehendausL’Âgede raison
(1945),LeSursis (1945) undLaMort dans l’âme (1949), folgt.MitAusnahmevonLetzteremer-
scheinen alle Werke, bevor die literarische Sartre-Rezeption in Österreich (größtenteils ab
1949/50)beginnt.
40 Peter Rubel: Die Verpflichtung des Theaters. In: Plan 1 (1946/47) Nr. 12, S. 978–980, hier
S.979(Hervorhebung imOriginal).
41 Chastaing:ExistentialismusundBetrug,S. 274,275.
42 Streller:ZurFreiheitverurteilt,o.S.
43 Benedek:Zweimal JeanPaulSartre. In:Tagebuch,03.01.1953.
274 8 SartreundderkulturelleKalteKrieg
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur