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dasWasserglas der freienWeltmeinung unbewegt. Jean-Paul Sartrewird zumerstenmal
unisonototgeschwiegen.84
Nachdemdas höchstgeschätzte Prinzip derWien zu drei Vierteln besetzenden
demokratischenArmeen(„arméesdesdémocratiesbourgeoises“)diePressefrei-
heit sei, stauntauchSartreselbst:
Es gab daDutzende vonWissenschaftlern, Politikern, Künstlern, die zu empfangenWien
bei anderer Gelegenheit stolz gewesenwäre; es gab da diese ganze bunteMischung der
Trachten und Sprachen. KeinWort davon: nicht die kleinste Zeile in einer Zeitung. Der
kleineWienerAngestellte,dereinsozialdemokratischesBlatt liestundder ineinemAußen-
bezirkwohnt,hatvöllig inUnkenntnisüberdieExistenzdesKongressesbleibenkönnen.85
(Il y avait par dizaines, par vingtaines, des savants, des hommespolitiques, des artistes
queVienne àd’autres heures eût été fière de recevoir; il y avait l’ensemble le plus pitto-
resquedecostumesetde langues.Pasunmot:pas lapluspetite lignedansun journal.Le
petit employéviennoisqui litune feuille sociale-démocrateetquihabiteunquartierpéri-
phériqueaputotalement ignorer l’existenceduCongrès.)86
84 o. V.: Sartre. In: Tagebuch, 08.11.1952. Der Weltfriedensrat hatte bereits im November 1951
eineTagunginWienabgehalten,vondermanannahm,siewürde„Widerhall findenvonParisbis
Peking, von Stockholmbis Sidney“ (TB: Die geistige Elite derWelt trifft sich inWien. In: Tage-
buch, 27.10.1951), dochmussdasTagebuch schonbei dieserGelegenheit vorwurfsvoll feststellen:
„Die sonst so lauteRegierungspressehatwieeinMassengrabgeschwiegen“ (10.11.1951).Auchdie
französischenAlliiertenhalten sich zurück,wasdurchPublikumsinterventionenbei einerVeran-
staltungzumExistentialismus jedochnichtganzgelingt:„Jean-PaulSartrewurde,das ist einVer-
dienstderWienerUraniaund ihresDirektorsWolfgangSpeiser, vergangeneWoche inderWiener
Lesegemeinde diskutiert. Armand Jacob, der Leiter des französischen Informationsdienstes, gab
eine in französischerClartéundPräzisionbrillierendeDarstellungdesphilosophischenundlitera-
rischenWerkes Sartres, die er,wechselseitig, auseinanderzudeutenunternahm. Sartres sensatio-
nelle Stellungnahme für die Weltfriedensbewegung […] wurde erst in der sehr gespannten
Diskussionerörtert. SartresWienerBewundererwarenbloß fassungslosundaufspeinlichsteber-
ührt–nun;das ist schonetwas. […]Sieverdächtigensogar,unkontrolliert,dasTB,dieAeußerun-
gen Sartres tendenziös übersetzt und ausgewählt zu haben – das ist schonmehr. Es zeigt, wie
perplexsie sind.ArmandJacoballerdingsbestätigte,daßerdieUebersetzungundAuswahlkont-
rolliertundeinwandfreigefundenhabe.TBwirddenErschrockenenmitweiteremunverfälschtem
Sartreaufwarten.“o.V.: Jean-PaulSartre. In:Tagebuch,22.11.1952.
85 Jean-Paul Sartre:Was ich inWiengesehenhabe, ist der Frieden. In: Sartre: Krieg imFrie-
den 2. Reden, Polemiken, Stellungnahmen 1952–1956. Hg. von Traugott König und Dietrich
Hoß, übersetzt von Abelle Christaller, Dietrich Hoß, Traugott König und Eva Moldenhauer.
(GesammelteWerke in Einzelausgaben, Politische Schriften 3,2.) Reinbek 1982, S. 60–72, hier
S.65 (Hervorhebung imOritinal).
86 Sartre:Ceque j’aivuàVienne,c’est laPaix. In:LesLettres françaises,01.–08.01.1953 (Her-
vorhebung imOritinal).Dass der Kongress durchaus auch vonAußenstehenden zur Kenntnis
282 8 SartreundderkulturelleKalteKrieg
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur