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n’importequoi surn’importequel sujet etavecquelleprécision.“208)Dasserdiese
Textmengen überdies in kürzester Zeit verfasst, mindestens fünf Artikel pro
Woche, treibtdenPartre-Sammler („collectionneurdePartre“209)alsbald indenfi-
nanziellenRuin.DieSatire aufdie „Schreibmaschine“210 Sartre liegtnäher ander
Wahrheit–bisweilenentstehen80SeitenproTag–alsvermutet.DieQuantität tut
derQualitätkeinenAbbruch,beruhigtdieRedaktiondes französischenDokumen-
tationszentrums inWien, die denExistenzialismusSartre’scher Prägungals „eine
gewaltige LeistungdesGeistes“bezeichnet, „diemit der gleichenVirtuosität eine
philosophische Dissertation oder ein Drehbruch hervorbringt“, darunter einige
„Meisterwerke“211. AuchDiePressewird schließlichvom „immensenFleiß[]“Sar-
tresundder„faszinierendbreitenPaletteseinesKönnens“212 schwärmen.
Doch auch das, was nicht als chef d’œuvre oder Meisterleistung gelten
kann, scheint auf eine gewisseWeisenachahmenswert. Trotz der vielenSeiten
„trübenUnsinns“, die Sartre laut demösterreichischenSchriftsteller undKriti-
ker Herbert Eisenreich bisweilen verfasst, sei seinen Entwicklungen vor allem
Positives abzugewinnen: „Und selbst wenn Sartre hier und dort irrt: er irrt
nicht aus Schlamperei und Ignoranz und Selbstgefälligkeit. Überhaupt sollten
wir denWert des Irrtums nicht unterschätzen!“213 Scheuch stimmt zu: „Darin
liegt die Stärkeunddie SchwächeSartres: daß er ein Suchender geblieben ist,
ein kritischer unddestruktiver Geist, dermanchmal falscheWege einschlägt–
aberwelchemWanderer passiert das nicht?“214 Trägt derWanderndebesonders
vielVerantwortung–und ist,„[o]bwohl er esnichtweiß“,wie 1974Marcuseäu-
ßert, „das Gewissen derWelt“215–, dürfe dies nicht passieren, meint hingegen
Manès Sperber. Er urteilt weniger mild über die Irrtümer, die sich Sartre mit
208 Vian:L’Écumedes jours,S. 257.
209 Vian:L’Écumedes jours,S. 70.
210 Nenning: Sankt Sartre, S. 21. Cf. Collins: The Sociology of Philosophies, S. 776: „Fanati-
cally writing, he produces asmany as 80 pages a day […]. Sartre is the energy vortex of his
network, readingandwritingabouteverything thatcomes into itspurview.“
211 o.V.:PolemikumJean-PaulSartre. In:Kulturelles,02.02.1948.
212 ile:EinLeitfossil. In:DiePresse, 17.04.1980.
213 Eisenreich:SartresSituationen. In:DieZeit,05.04.1956.
214 Scheuch: Literatur der äußersten Situation, S. 10.Mancheblendendie „politischen Zick-
zack-Kurse“ soweit aus, dassnur „AchtungundHochschätzung für Sartre“übrig bleiben, so
der österreichischePsychotherapeut Josef Rattner, der nach 1938 indie Schweiz (später nach
Deutschland) geht, wo er dem „kühnen und progressiven Denker“ dann sein „langes Leben
hinwegdieTreuegehalten“hat. JosefRattner: Jean-PaulSartre.EinEssay.Berlin2016,S. 5.
215 Traugott König: Sartre, Jean-Paul, S. 334. JohnGerassi wird Sartre dann später zumver-
hassten Gewissen seines Jahrhunderts im Titel seiner Studie Jean-Paul Sartre. Hated Consci-
enceofhisCenturymachen(Vol. 1,ProtestantorProtester?Chicago1989).
306 8 SartreundderkulturelleKalteKrieg
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur