Seite - 315 - in Existentialismus in Österreich - Kultureller Transfer und literarische Resonanz
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Bevor das Revival des Existentialismus nach Sartres Ableben wieder vergehen
kann,veranlasstderpolitischeRechtsruckMittederachtziger Jahreeinenneuen,
vielfach von Sartre inspirierten Zusammenschluss von Literatur und Politik, im
Zuge dessen intellektuelles Intervenieren und schriftstellerisches Engagement
eineerheblicheAufwertungerfahren.Das aufdeckendeSchreibenbegleitet nun,
anders als in den frühen sechziger Jahren, eine öffentliche Debatte über Öster-
reichs einstige und seinerzeitige Haltung zumNationalsozialismus. Dabei wird
derOpferstatus, aufdessenBasisdie französischenAlliiertennach1945einemit
demExistentialismus-TransferverwobeneSchulddiskussionwie inderBundesre-
publikDeutschlandvermeiden,zuletztdelegitimiert.
Abgesehen von der enthüllenden littérature engagée reicht die Präsenz des
Existentialismus inTextenösterreichischerAutorInnenvonderBehandlungana-
loger existenzphilosophischer Themen und Motive (z.B. bei Dor, Aichinger,
BachmannundLebert)übernamentlichesAufrufen(z.B.beiBlaha,Fritsch,Sim-
melundTurrini)biszumarkiertenZitatenundeingehenderAuseinandersetzung
mit den Theoremen Sartres und Camus’ (z.B. bei Okopenko, Winkler, Jelinek
undGstrein). Dass den SchriftstellerInnen, die explizit auf den Existentialismus
verweisen, viele gegenüberstehen, derenWerke ohne solche Nennungen ähnli-
chen literaturtheoretischenWegen folgen oder sich inhaltlichmit der französi-
schen Literatur der situations extrêmes überschneiden, verdeutlicht die Macht
derzeitgeschichtlichenUmstände,diedieseKonvergenzenhervorbringen.
Wiederum andere AutorInnen, etwa aus dem avantgardistischen Umfeld
der„WienerGruppe“, erwähnenihreBeschäftigungmitSartreoderCamus,ver-
fassenaberBücher, indenensichderTransferforschungsaufgabe,„dasFremde
imEigenen zu entdecken“19, in Bezug auf Existentialismus-Spurennur schwer
nachkommenlässt.DasssichdieseEinflüssenichterkennbar literarischnieder-
schlagen, liegt auch an ihremVerschmelzenmit gleichzeitig aufgenommenen,
bis dato kriegsbedingt vernachlässigten anderen Strömungen aus dem Aus-
land, vor allemmit demSurrealismus. Die internationalen Kulturgüter treffen
zudemnach 1945 imAufnahmekontextmit Neuentdeckungen aus der eigenen
Kultur zusammen, vornehmlich von Franz Kafka. Nachdemdieser als Schwer-
gewicht innerhalbder„traditionof literary-philosophicalhybrids“20 indenvor-
angegangenen Jahrzehnten schon Sartre und Camus geprägt hat, verstärken
derenWerkenundieWirkungKafkas inÖsterreich. IndiesemAspekt,wieauch
inseinerVerankerunginderdeutschsprachigenPhänomenologieundExistenz-
19 Jurt:DaswissenschaftlicheParadigmadesKulturtransfers,S. 31.
20 Collins:TheSociologyofPhilosophies,S. 764f.
9 „Ein toterSartre isteinguterSartre“.BilanzundAusblick 315
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur