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Einleitung 13
eingeordnet wurden, wie es sich auswirkte, daß er selber alsbald das kaiserliche
Amt und damit die alleinige Verantwortung für das Reich übernehmen sollte.
Welche Konsequenzen zog er aus der Tatsache, daß die eine Säule des Kaiser-
tums, eben die Einheit der Christenheit, zerbrochen war? Welche Haltung
nahm er in der Religionsfrage ein, seit er selbst „advocatus ecclesiae“ war? Wie
bewegte er sich in den europäischen Spannungsfeldern, welche politischen
Räume und Probleme kamen neu bzw. in anderer Weise in sein Blickfeld? Wie
beurteilte er die Situation im Reich, welche Möglichkeiten sah er, die infolge der
Niederlage Karls V. im Fürstenaufstand geschwächte Stellung des Kaisers im
Reich zu kräftigen, insbesondere durch Zugewinn exekutiver Kompetenzen?
Diese Fragen haben mich bewogen, die Untersuchung nicht erst mit dem
reichsrechtlichen Beginn seines Kaisertums nach der Abdankung Karls V. im
März 1558 oder auch bei der endgültigen Übernahme der Regierungsgeschäfte
infolge der Abreise des Kaisers nach Spanien im September 1556 anzusetzen,
sondern mit dem Augsburger Reichstag von 1555 und seiner Vorgeschichte.
Schon Bucholtz sah in Ferdinands Politik nach dem Passauer Vertrag von 1552
eine Zäsur und stellte die These auf, daß Ferdinand von da an „durchaus selb-
ständig und unabhängig von seinem Bruder die Angelegenheiten im Sinne einer
neuen Zeitepoche zu führen versuchte“18. Es gehört zu den Ergebnissen der
Forschung in den drei letzten Jahrzehnten, daß Ferdinand im Laufe der Jahre
ein ernst zu nehmendes politisches Eigenprofil entwickelt hat; daß er sich zwar
bemühte, die sich aus seiner eigenen politischen Basis ergebenden Interessen
nach Möglichkeit mit denen des kaiserlichen Bruders zu koordinieren, aber je
länger desto mehr Gewicht darauf legte, den eigenen Konzeptionen Geltung zu
verschaffen. Obwohl Ferdinands Politik während der dreißiger und vierziger
Jahre noch nicht im Zusammenhang untersucht worden ist19, wird man mit der
gebotenen Vorsicht sagen dürfen, daß der Römische König dann, wenn Kaiser
Karl V. seine Prioritäten deutlich zu erkennen gab, seine eigenen Zielsetzungen
und Folgerungen aus der politischen Lage in der Regel zurückgestellt und den
Bruder loyal unterstützt hat20. Welche Vorstellungen Ferdinand in dieser Zeit
von Position und Aufgaben des Kaisertums entwickelt hat, ist ein noch gar
nicht erörtertes Problem. Ganz sicher gewann die Frage, nach welchen Grund-
sätzen und mit welchen Mitteln er das kaiserliche Amt führen wollte, für ihn an
Dringlichkeit seit der Niederlage des Bruders im Jahre 1552, als Karl ihm zu
verstehen gegeben hatte, er werde sich eventuell zurückziehen und ihm, Ferdi-
nand, im Reich freie Hand lassen21. Dazu kam es zwar noch nicht sogleich, aber
in den nächsten Jahren traten, wie Lutz im Rahmen seiner großangelegten Dar-
18 Bucholtz 6, S. V
19 Fichtner, Ferdinand I., hat für diese Phase keine Fortschritte gebracht; Kohler, Karl V., hat diese
beiden Jahrzehnte übersprungen.
20 Das schließt gelegentliche Konflikte nicht aus, von denen der Streit um die sog. „spanische
Sukzession“ besondere Aufmerksamkeit gefunden hat. Als Erklärung für die Zäsur von 1552
reicht eine Verbitterung Ferdinands über dieses Projekt, wie etliche ältere Forscher (Witter, Iß-
leib, aber auch noch Fischer-Galati und selbst Rassow) argumentiert haben, nicht aus. Vgl. dazu
Laubach, Nachfolge, S. 33ff
21 Am 10.7.1552 (Lanz, Corr. 3, S. 360); vgl. Lutz, Christianitas, S. 99
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien