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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden48
Ferdinand zog es also vor, erst einmal seinen erbländischen Problemen nach-
zugehen. Offenbar schätzte er die Chancen, den Reichstag zum Erfolg zu füh-
ren, in der zweiten Hälfte des Jahres 1554 sehr niedrig ein. Das erscheint aus
mehreren Gründen begreiflich: Seine Konzeption hatte desto größere Aussicht
auf Erfolg, je besser der Reichstag besucht war. Außerdem hatte seine Bitte um
bevollmächtigte Legaten bisher an der Kurie noch keine positive Resonanz
gefunden89, und nun wollte auch noch der Kaiser seine Unterstützung auf ein
Minimum reduzieren. Endlich war die Eröffnung des Reichstages wenig sinn-
voll, solange in Frankfurt ein Reichskreistag tagte90.
Indessen scheint Ferdinand die Entschlüsse Karls ungeachtet ihrer Bekannt-
gabe an die Reichsfürsten doch noch für revidierbar gehalten zu haben; denn im
Herbst schlug er nochmals vor, der Kaiser möge doch persönlich die Leitung
des Reichstages übernehmen, das sei das beste Mittel für einen fruchtbaren
Verlauf91. Er traf sich darin mit ähnlichen Überlegungen in der Umgebung
Karls92 – ob das ein Zufall war oder ob er durch Vertrauensleute am Brüsseler
Hof darüber informiert war, sei dahingestellt. Interessant ist dabei die Argu-
mentation: Die ihn zur Eile mahnenden Ausführungen des Kaisers, der Reichs-
tag sei das einzige Mittel zur Befriedung des Reiches und liege daher auch in
Ferdinands eigenem Interesse, quittierte dieser mit der Bemerkung, der Bruder
wisse ja genau, daß er selbst diese Ansicht seit langem vertreten habe, dann
brachte er die oben genannten Entschuldigungen für sein Ausbleiben vor und
verband zum Schluß seine Aufforderung zur persönlichen Durchführung des
Reichstags mit dem Hinweis, die politischen Verhältnisse, die Karls Abkömm-
lichkeit berührt hätten, hätten sich doch recht günstig entwickelt. Schon hier
gab Ferdinand dem Kaiser durch die Blume zu verstehen, daß nach wie vor er
die Verantwortung für das Reich trage.
Zu einer Revision der Junientscheidung Karls kam es jedoch nicht. Vielleicht
hat er noch einmal geschwankt – sonst hätte nach seiner eindeutigen Festlegung
die Bemerkung in einem Brief vom 9. Dezember 1554 wenig Sinn, er habe nun
die Hoffnung auf eine eigene Reise zum Reichstag endgültig begraben93. Ferdi-
nand aber ging erst zur Jahreswende an die Einlösung des dem Bruder gegebe-
nen Versprechens und begab sich zur Abhaltung des Reichstages nach Augs-
burg. Im Blick auf die Beschickung der Versammlung hatte sich dort freilich
noch nichts geändert.
Zunächst ist festzustellen, wie wenig Ferdinand daran dachte, jene „vollstän-
dige Heimstellung“ so zu interpretieren, daß er nun die Geschäfte des Reichsta-
ges ganz nach eigener Analyse und in eigener Verantwortung zu betreiben hät-
te. Aus den Diskussionen, die nach seiner Ankunft in Augsburg geführt worden
sind, erhellt vielmehr, daß Ferdinand sich davor hütete, etwa unter Berufung
auf die „Heimstellung“ seiner Konzeption zu folgen und damit das Risiko ein-
89 Lutz, Christianitas, S. 241; Druffel 4, Nr. 475, S. 528f
90 Dazu Neuhaus, Repräsentationsformen, S. 233ff u. 284ff
91 Lanz, Corr. 3, S. 646 (F. an Karl, 15.9.1554)
92 Vgl. den bei Lutz, Christianitas, S. 243f. referierten Brief Selds an den Bischof von Arras v.
23.8.1554. Ferner Turnbull, S. 124 u. 127 (Nr. 268 u. 275).
93 Druffel 4, S. 547
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien