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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden66
Protestanten wurde ein Artikel neu aufgenommen, der „etlichen ansee- und
andere[n] stedte[n]“, die lange vor dem Passauer Vertrag die Augsburger Kon-
fession angenommen hätten, gestattete, dabei „bis zu gemelter endlicher ver-
gleichung der religion“ zu bleiben, weil das „one große beschwerunge und em-
pörunge“ nicht zu ändern sei201. Diese Fassung wäre auch kleineren landsässi-
gen Städten zugute gekommen, das Prinzip der landesherrlichen Religionsho-
heit also durchlöchert worden. Der Gewissensvorbehalt der Geistlichen gegen
die vorgesehenen Eingriffe in ihre Jurisdiktion blieb stehen; das Interpretations-
recht des Kaisers in Streitfragen wurde ersatzlos gestrichen202.
Zwei Vorstöße der Protestanten haben König Ferdinand indessen genötigt,
schon jetzt die Linien deutlich zu machen, deren Überschreitung er nicht zu
tolerieren bereit war. Die Forderungen, allen Reichsständen die uneinge-
schränkte Übertrittsmöglichkeit von einer der beiden Konfessionen zur ande-
ren zu geben (die sogenannte „Freistellung“)203 und freie Religionsausübung für
die jeweils andersgläubigen Untertanen zu gestatten, rührten an Fundamente.
Nachdem sie im Ausschuß eingebracht worden waren, stellte Ferdinand, der
über die folgenreiche Intervention Herzog Christophs im Fürstenrat deutlich
verärgert war, den Württemberger bei ihrer nächsten Begegnung zur Rede und
warf ihm vor, der „Rädelsführer“ der Protestanten zu sein, der die anderen
Protestanten zu überzogenen Forderungen anstifte – „er het im rat das merer
umbgestoßen, darnach weren sie imme alle gevolgt“204. Die freie Religionsaus-
übung der Untertanen lehnte er für seine Erblande strikt ab, und die allgemeine
Freistellung des Übertritts sei unmöglich, außerdem sei sie „zuvor nie begert
worden“. Die von den Protestanten gewünschte „Erläuterung“ des Friedens als
„ewig und unbedingt“ bezeichnete er als unannnehmbar und weit über die ihm
vom Kaiser erteilte Vollmacht hinausgehend – womit Ferdinand diese Waffe in
Augsburg erstmalig einsetzte. Dementsprechend führten die Österreicher, die
im Ausschuß bisher eher um Vermittlung bemüht gewesen waren, nun den
Widerstand gegen jene beiden Anträge an, die von ihnen vorgebrachten Argu-
mente waren natürlich diejenigen Ferdinands.
Die Protestanten verlangten für geistliche wie weltliche „Churfursten, fur-
sten, stennden und oberkeiten“ bis zur endgültigen Vergleichung der Religion
das Recht, zusammen mit ihren Untertanen die Konfession zu wechseln und
dabei im Genuß aller rechtlichen Regelungen des Friedens zu bleiben205. Die
Formulierung war so paritätisch gehalten, als ob die Rückkehr protestantischer
standen, „damit die sacramentierer, widertäuffer und andere in vil weg verworfene secten“ aus-
geschlossen blieben (Brandi, Religionsfrieden, S. 38, Anm. zu Art. 5).
201 Brandi, Religionsfrieden, S. 14, Art. 13; bei Ernst, Bw. 3, S. 149, heißt es „etliche am see und
andere stett“.
202 Offenbar auf Antrag der Protestanten, wie die von Brandi, Religionsfrieden, S. 18 Anm. a mit-
geteilte Randbemerkung auf dem hessischen Arbeitsexemplar nahelegt. Das in Anm. 162 ge-
nannte Aktenstück hat zu diesem letzten Artikel die Randbemerkung: „Augusti mistrauent hunc
Articulum“ (fol 4v).
203 Zu Begriff und Bedeutungswandel in den nächsten Jahrzehnten vgl. Westphal, S. 6f
204 Vgl. den auf Christoph selbst zurückgehenden Bericht der hessischen Gesandten vom 2.4.1555
bei Druffel 4, S. 632
205 Brandi, Religionsfrieden, S. 14f, Anm. zu Art. 14
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien