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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden74
Prozesse wegen der geistlichen Jurisdiktion mehr durchgeführt bzw. entschie-
den werden sollten242. Falls diese als Entgegenkommen anzusehenden Anträge
abgelehnt würden, müßten sie auf ihrem prinzipiellen Freistellungsartikel be-
harren.
Das taktische Kalkül der Protestanten war, daß bei einem zwiespältigen Vo-
tum die weltlichen Kurfürsten die evangelische Position im Kurfürstenrat be-
haupten und so als Bestandteil der ständischen Antwort auf die Proposition
durchsetzen würden, eine Erwartung, die nach der ersten Beratungsrunde im
Kurfürstenrat einige Berechtigung hatte. Freilich mußten sie den Katholiken
das gleiche Kalkül zutrauen, und wenn es den geistlichen Kurfürsten gelingen
sollte, die katholische Position zu halten, dann würden jene als zusätzlichen
Trumpf den König sicher auf ihrer Seite haben243. Indessen gab es auf katholi-
scher Seite gar keine einheitliche Strategie, unter den Geistlichen waren etliche
schon bereit, „die handlung zerschlagen“, also den Reichstag scheitern zu las-
sen244, und andere wollten die gravierenden Entscheidungen am liebsten dem
König „heimstellen“. Das lief freilich dessen Interesse zuwider, möglichst ein
einvernehmliches Votum der Reichsstände zu erhalten, um nicht zu früh zwi-
schen zwei Positionen Partei ergreifen zu müssen, was dem angestrebten Ziel
einer von allen Reichsständen getragenen Friedensregelung nur abträglich sein
konnte. Die sofort einsetzenden Appelle der österreichischen Vertreter, doch
noch eine Einigung zu versuchen, waren ein Präludium für die von Ferdinand
in dieser Phase des Reichstages verfolgte Politik. Sie argumentierten, daß ein
zwiespältiges Votum des Fürstenrates die Verhandlungen nicht nur erheblich
verlängern werde, weil eine ebenfalls zwiespältige Antwort des Kurfürstenrates
vorauszusehen sei, sondern zu größter Verwirrung führen müsse245. Erfolg
hatten sie damit zunächst nicht, es kam zu keiner Einigung im Plenum des Für-
stenrates, der Vorsitzende wurde beauftragt, dem Kurfürstenrat das „gespaltene
Votum“ zu referieren.
Durch Sonderverhandlungen und Vermittlungsgespräche versuchte Ferdi-
nand, der zweifellos sofort von der ungünstigen Entwicklung informiert wor-
den ist, die Taktik der Protestanten zu durchkreuzen. Ob der König auch per-
sönlich interveniert hat, muß offen bleiben246, hauptsächlich war die Durchfüh-
rung Zasius übertragen, der dabei von Räten der Herzöge von Bayern und Jü-
lich unterstützt wurde, also der wichtigsten weltlichen katholischen Fürsten,
242 Begründung für die Verzichtforderung Lehmann I, S. 18r; Wortlaut des Antrags zur Kammerge-
richtsordnung ebda. S. 19
243 Für diese Überlegungen vgl. Ernst, Bw. 3, S. 175.
244 Passauer Protokoll, fol 49v
245 Zasius’ Auszug über die Verhandlungen im Fürstenrat v. 20.4.-8.5 1555 (HHStA Wien, RK,
RTA 29b, Konv. II 2c, fol 62ff, hier fol 78v)
246 Nach protestantische Berichten soll der König die Geistlichen am Sonntag (5. Mai) zu sich
gerufen und sie zu größerer Kompromißbereitschaft ermahnt haben; wenn ihretwegen der Frie-
de scheitere, könne er sie nicht ausreichend schützen (Ernst, Bw. 3, S. 170; PCSS 5, S. 600; Zasi-
us’ Aufzeichnungen (wie vorige Anm.) enthalten keinen Hinweis auf eine persönliche Interven-
tion Ferdinands.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien