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Vorentscheidung im Juli und August: Resolution oder Prorogation 95
Indessen hatte Ferdinand keineswegs die Absicht, seine Resolution sofort
den Reichsständen bekannt zu geben, vielmehr hielt er sie fast zwei Monate
unter Verschluß. Sein Bestreben in dieser Zeit war, seinen Handlungsspielraum
zu erweitern, sich mehrere Optionen zu öffnen und aus dem Dilemma zu ent-
kommen, daß der Kaiser weiterhin die Verantwortung für das Ergebnis des
Reichstages in Gestalt eines Religionsfriedens ablehnte, daß die Kurie ihn zu
einem ergebnislosen Abbruch drängte und daß die Stände seine Ersuchen um
konkrete Maßnahmen zur Sicherung des Landfriedens, der ihm sehr wichtig
war, nur schleppend behandelten. Die Protestanten am Reichstag redeten an-
scheinend ziemlich offen darüber, die Landfriedensfrage als Druckmittel ver-
wenden zu wollen, um eine ihnen günstige Stellungnahme des Königs zu erlan-
gen362, während einige Katholiken erwarteten, Ferdinand werde seine Resoluti-
on zurückhalten, bis die restlichen Themen durchberaten wären363. In diesem
Rahmen sind zwei Aktionen Ferdinands zu betrachten, nämlich der sog. Proro-
gationsplan sowie ein Versuch, doch noch zu Beratungen über den Weg zur
Religionsvergleichung zu kommen.
Ferdinand hatte dem Bruder das Ständebedenken noch am Tage seiner Über-
gabe zugeschickt und eine Stellungnahme mit dem Hinweis zu provozieren
gesucht, die Bestimmungen seien auch für die Niederlande von Bedeutung364.
In seiner Antwort lehnte Karl einen eingehenden Kommentar mit der Begrün-
dung ab, er kenne den Verlauf der Verhandlungen nicht und verstehe darum
einzelne Artikel gar nicht, außerdem sei er krank; so könne er Ferdinand nur
raten, sein Bestes zu tun, „damit doch die beschwerlichsten Puncten ... gemil-
tert“ werden. Entschieden verwahrte er sich aber unter Berufung auf den Bur-
gundischen Vertrag gegen die Ansicht, der Religionsfrieden habe für die Nie-
derlande Geltung365. Nur in dieser einen Frage zog er etwaiger Nachgiebigkeit
des Bruders eine strikte Grenze.
Als Ferdinand am 9. Juli die fertiggestellte Resolution nach Brüssel über-
sandte, lag ihm jene Antwort des Kaisers noch nicht vor. Stattdessen war inzwi-
schen ein Bericht seines Brüsseler Geschäftsträgers Gamiz eingegangen, der
andeutete, daß der Kaiser den Reichstagsverhandlungen keinerlei Interesse ent-
gegenbringe und von seiner Umgebung keine Hilfe zu erwarten sei, ihn umzu-
stimmen, sowie den Wunsch Karls übermittelte, Ferdinand möge ihn noch vor
seiner für den Herbst geplanten Abreise nach Spanien in den Niederlanden
aufsuchen366.
362 „Die weltlichen Churf. und Fursten gesanten lassen sich vernemen, das sie in kainen anderen
sachen mit der beratschlagung vortfaren wollen, es sei dan, das diser Articul vorerst verglichen
sei“ (Dincklage an Bischof von Münster, 25.6.1555, in NWStA Münster, FML 473 Bd. 3a, fol
242r). Vgl. auch Ferdinands Brief an Karl vom 9.7.55 (Lanz, Corr. 3, S. 663f).
363 Vgl. Blarer 2, S. 390f: Christoph von Hausen an Abt Gerwig Blarer von Weingarten v. 13.7.55
364 HHStA Wien, RK RTA 29a I 12a: F. an Karl, 21.6.1555 (Ausf.); vgl. Lutz, Christianitas S. 365
365 HHStA Wien, RK, RTA 29a I: Karl an Ferdinand, Brüssel, 7.7.1555 (s. oben Anm. 342). Der
Brief wurde am 16.7. im Rat des Königs verlesen (Lutz/Kohler, S. 82f).
366 Druffel 4, S. 682–684. Zu Gamiz vgl. Laferl, S. 235; statt „Kommissär in Augsburg“ muß es
heißen: in Brüssel.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien