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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden98
Ebenso spricht dafür, daß Ferdinand sich einige Wochen später entschlossen
hat, deshalb Sondierungen bei den Kurfürsten und einigen anderen einflußrei-
chen Fürsten vorzunehmen, ohne den erbetenen Rat des Bruders erhalten zu
haben. In seiner Begründung der Aktion Ende Juli gegenüber Karl376 erhielt
nun die osmanische Bedrohung größeres Gewicht als vorher, denn inzwischen
hatte Ferdinand sehr beunruhigende Nachrichten aus der Türkei erhalten:
Nachdem ein Frieden mit Persien zustande gekommen war, hatte der Sultan
den Gesandten des Königs am 2. Juni mit dem Bescheid heimgeschickt, ohne
Rückgabe Siebenbürgens an den unmündigen Sohn des Johann Zapolya werde
er mit ihm keinen Frieden schließen377. Den Fortgang der Beratungen am
Reichstag erklärte Ferdinand nach wie vor für so unbefriedigend, daß sich die
Vertagung geradezu anbiete, und er drängte den Kaiser, ihm mitzuteilen, wel-
cher Termin und Ort ihm für die sogleich neu einzuberufende Tagung genehm
seien. Andererseits mahnte er auch die Stellungnahme des Kaisers zu seiner
Resolution an, ohne die er sie nicht an die Stände übergeben möge. Stärker be-
tonte er seine persönliche Zwangslage, daß seine Resolution weder den Religi-
onsparteien noch Kaiser noch Papst gefallen könne378. Die Verantwortung für
die Sondierung bei den Fürsten übernahm er selbst, indem er dem Kaiser nur
noch die Instruktion für seine Gesandten zur Kenntnisnahme beilegte.
Sicherlich verfolgte Ferdinand mit dem Vertagungsvorschlag auch das Ziel,
den Kaiser weiterhin in der Verantwortung für das Geschehen zu halten. Ein
neuer Reichstag würde, auch wenn er eine Fortsetzung des abgebrochenen sein
sollte, die Ausstellung einer neuen Instruktion erfordern, Karl würde sich dann
wieder mit der Materie befassen müssen. Dessen Abreiseankündigung mag
Ferdinand wie Fahnenflucht vorgekommen sein, darum bot er alle Argumente
auf, um zu verdeutlichen, daß der Kaiser jetzt in der Nähe der Entscheidungen
bleiben müsse. Daß Karl am nächsten Reichstag persönlich teilnehmen würde,
wird Ferdinand schwerlich geglaubt haben379, vielmehr schlug er ja Regensburg
als Tagungsort vor, weil diese Stadt für ihn selbst günstiger gelegen war, wenn
er wiederum die Leitung übernehmen sollte.
Eben jenes Kalkül könnte Karl durchschaut haben. Nach seinem Brief vom
7. Juli hüllte er sich einen Monat lang gegenüber Ferdinand in Schweigen. We-
der zum Resolutionsentwurf noch zu Ferdinands Situationsanalyse noch zur
Prorogationsidee gab er zunächst seine Meinung kund. Angesichts der großen
Dichte im vorherigen Schriftverkehr ist diese lange Pause auffällig.
Beiden habsburgischen Brüdern mußte nach ihrem langmonatigen Ringen
klar sein, daß die nominelle letzte Verantwortung für das Reichstagsergebnis
beim Kaiser bleiben würde. Ihr Verhalten in diesen Wochen vermittelt den
376 Lanz, Corr. 3, S. 668ff: Ferdinand an Karl, 30.7.1555
377 Vgl. Kapitel 10, S. 633. Einfluß dieser Nachricht auf den Prorogationsplan nimmt auch Lutz,
Christianitas, S. 372 u. S. 424f. an; den plötzlichen Umschwung in der Argumentation Ferdi-
nands am 9.7. hat er nicht erörtert.
378 Zweifel an der Angemessenheit seiner Resolution dürfte Ferdinand trotz seiner Klage, wie
schwer er an den Konzessionen zu tragen habe, nicht gehabt haben; sonst hätte er sie nicht nach
zwei Monaten nahezu unverändert veröffentlicht.
379 Gegen Wolf, Religionsfrieden, S. 141
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien