Seite - 138 - in Ferdinand I. als Kaiser - Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
Bild der Seite - 138 -
Text der Seite - 138 -
Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden138
mehr so erfolgreich gewesen, und in der offenbar allgemein euphorischen
Stimmung der letzten Tage wurde ihm für seine umsichtige Verhandlungsfüh-
rung und seinen unermüdlichen Einsatz manches Lob zuteil645.
Gewiß trifft die Aussage zu, Ferdinands Berufung auf die kaiserliche Voll-
macht und die zeitweilige Anwesenheit päpstlicher Vertreter in Augsburg
könnten nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Augsburger Religionsfrieden
„ohne die Beteiligung der beiden Spitzen der mittelalterlichen Christenheit“
zustandegekommen ist646. Beide Häupter übten, obwohl sie sich von der Mitge-
staltung dispensiert hatten, nicht nur am Ergebnis Kritik, sondern suchten es
auch zu verhindern. Demgegenüber durfte Ferdinand mit vollem Recht bean-
spruchen, für Reich und Kirche das Beste angestrebt zu haben. Durch seine
hartnäckige und geschickte Verhandlungsführung vermochte er eine Rechtspo-
sition für die „alte“ katholische Kirche zu wahren, von der aus wenige Jahr-
zehnte später die erfolgreiche Rückeroberung weithin schon an die Protestan-
ten verlorenen Terrains bewerkstelligt werden konnte. Seiner geistigen Beweg-
lichkeit hatte das Reich eine Regelung zu verdanken, die für eine Generation
und länger seiner Bevölkerung blutige Glaubenskämpfe, wie sie alsbald in
Frankreich ausbrachen, erspart hat – freilich um den Preis der unbefristeten
Anerkennung der „Augsburgischen Konfession“ als zweitem zulässigen Be-
kenntnis im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, die Kaiser Karl V.
aus „religiösen Skrupeln“ nicht bewilligen zu können geglaubt hatte. Die Ent-
wicklung, welche die Dinge im Nachbarland nahmen, konnte Ferdinand als
Bestätigung dafür nehmen, einen besseren Weg gegangen zu sein. Daß den da-
mals getroffenen Vereinbarungen auch Schwächen anhafteten wie jedem Men-
schenwerk, sollte den Blick nicht trüben für die kurz- und längerfristigen posi-
tiven Auswirkungen für die damals lebenden Menschen647.
Für Karl V. hat die reichsrechtliche Anerkennung einer zweiten Konfession
anscheinend so eindeutig den endgültigen Zusammenbruch der Ordnung do-
kumentiert, als deren Beschirmer er sein Leben lang aufgetreten war, daß er sich
zu dem im Reich einzigartigen und in der europäischen Geschichte sehr selte-
nen Schritt entschloß, auf sein Herrscheramt zu verzichten. Er hatte, wie Karl
Brandi formuliert hat, „mit dem ganzen Reichstagsabschied innerlich nichts
mehr zu tun“648. Für König Ferdinand aber, der die politische Verantwortung
für die Neuerung trägt, bedeutete der Augsburger Abschied nur ein Durch-
gangsstadium auf dem Weg zur in absehbarer Zeit erhofften Wiederherstellung
der Glaubenseinheit. Nur wenige Tage nach Schluß des Reichstages brachte er
diese Auffassung in einem Schreiben an Bürgermeister und Rat von Straßburg,
die noch immer gegen den Städteartikel protestierten, zum Ausdruck: Es sei
abwegig, aus ihrer daraus abzuleitenden Pflicht, die Katholiken in der Stadt zu
645 NB I 17, S. 346 u. 348: Berichte Tiepolos v. 21. u. 28. 9.1555; vgl. Lutz, Christianitas, S. 436;
Tüchle, S. 323; Turba, Beiträge 3, S. 253
646 Tüchle, S. 324
647 Ausführliche Würdigungen der Bedeutung des Religionsfriedens für die deutsche Geschichte
und die Geschichte der Konfessionen im Reich in letzter Zeit: Heckel, Deutschland, S. 33–66;
Rabe, Reich, S. 299ff; ders., Deutsche Geschichte, S. 454ff.
648 Brandi, Karl V., Bd. 1, S. 524
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien