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Die erste Phase des Reichstages 155
Briefe, insbesondere die Reaktionen des Königs auf die ihm vorgetragenen Än-
derungsvorschläge, erlauben weitere Einblicke in seine Reichstagskonzeption.
Zunächst war die Präsenz der Stände so mangelhaft, daß an ernsthafte Bera-
tungen nicht zu denken war85. Die Anwesenden beschlossen daher, noch eine
Weile zu warten, und der Mainzer Kanzler stellte die Prognose, vor Ende Sep-
tember werde die erste Antwort der Stände gewiß nicht zustande kommen86.
Der König sah sich veranlaßt, einige Reichsstände, darunter den Kurfürsten
August, nochmals zur Beschickung des Reichstages zu mahnen87. Vor allem die
schwache Besetzung der geistlichen Bank im Fürstenrat bereitete den königli-
chen Kommissaren wochenlang Sorgen: Sie fürchteten, die Protestanten könn-
ten ihre „Zufallsmehrheit“ ausnutzen, um den seit Passau akzeptierten Grund-
satz, daß es in Religionsfragen kein Überstimmen geben sollte, zu ihren Gun-
sten außer Kraft zu setzen88. Trotz mehrmaligen Drängens der Kommissare auf
Beginn der Beratungen traten die Stände erst am 18. August – zur Entgegen-
nahme einer Petition anläßlich der Koadjutorfehde in Livland89 – und dann am
25. August zusammen. In dieser ersten Sitzung, die die Proposition zum Ge-
genstand hatte, wurden die Frontlinien der kommenden Monate bereits deut-
lich.
Weisungsgemäß plädierte im Fürstenrat Zasius als Vertreter Österreichs für
vorrangige und schleunige Beratung der Türkenhilfe. Das fand auch die Unter-
stützung der anwesenden katholischen Stände, aber alle Protestanten votierten,
daß die Reihenfolge der Proposition eingehalten, also mit der Religionsfrage
angefangen werden müsse, allenfalls eine parallele Behandlung wollten einige
zugestehen. Zu einer Entscheidung kam es nicht, denn der Kurfürstenrat lehnte
die Aufnahme der Beratungen ab, weil einige Mitglieder noch nicht ausreichend
instruiert waren90. Auch der Schachzug, eine Delegation der Stände Nieder-
österreichs am 3. September vor den Reichsständen Klage über die Türkennot
führen zu lassen, fruchtete nichts91. Die Blockierung der Reichstagsarbeit durch
den Kurfürstenrat dauerte bis zum 22. September.
In der Zwischenzeit wurde im protestantischen Lager um eine gemeinsame
Strategie gerungen, wie man sich gegenüber den königlichen Anträgen verhalten
sollte. Schon im Vorfeld des Reichstages hatte es darüber einen längeren Mei-
85 Aufzählung der Anwesenden bei Bundschuh, S. 130
86 Bericht der Räte Ferdinands v. 15.7.1556: HHStA Wien, RK RTA 36, fol 373–378, hier 378r/v
87 Ebda, fol 427–428: Ferdinand an Kf. August, Wien, 20.7.1556 (Konz.)
88 So im Bericht vom 1.9.1556. HHStA Wien, RK RTA 37, fol 11r-19r (Or.), bes. fol 16r-17r;
(Konz. ebda, fol 1r-6v).
89 Ernst, Bw. 4, S. 130; Wolf, Protestanten, S. 24. Zur Sache und zu Ferdinands Reaktion vgl.
Kapitel 10, S. 681f. Der Darstellung von brandenburgischer Seite folgte Anfang September eine
Entgegnung des livländischen Vertreters (Bericht der Kommissare v. 5.9.1556 in HHStA Wien,
ebda, fol 34r-36v u. 42r).
90 HHStA Wien, RK RTA 36, fol 491r-498v: Bericht der königlichen Kommissare v. 25.8.1556;
Ernst, Bw. 4, Nr. 126, S. 137f; vgl. Bundschuh, S. 139f.
91 Ernst, Bw. 4, S. 154f: Bericht v. 5.9.1556. Der Ausschußlandtag in Wien hatte schon im Februar
die Instruktion erarbeitet (Loserth, Innerösterreich, S. 54 u. S. 58).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien