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Kapitel 2: Der Regensburger
Reichstag164
aber als taktische Variante, den Protestanten notfalls anzubieten, daß das Pro-
blem bis zu seiner persönlichen Ankunft in Regensburg vertagt und in der Zwi-
schenzeit die Hauptpunkte der Tagesordnung erörtert werden sollten135. Diese
Rückzugslinie entsprach zum Teil einer Empfehlung, welche seine Räte als von
„Nikodemus“ stammend weitergegeben hatten: Man solle zunächst versuchen,
Zeit zu gewinnen, indem die Katholiken die Sache nicht a limine ablehnen,
sondern vorschlagen sollten, das Thema bis zur Ankunft des Königs zu verta-
gen; in der Zwischenzeit könne man wohl schon über die Türkenhilfe verhan-
deln136. Im Grunde war das ein doppelbödiger Rat, denn die Katholiken hätten
damit immerhin zugestanden, daß die „Freistellung“ als Beratungsgegenstand
berechtigt wäre. Er war auch nicht befolgt worden. In seltener Einmütigkeit
hatten in beiden Reichstagskurien alle Katholiken die Behandlung des prote-
stantischen Antrags verworfen137. Das Ergebnis der langen Beratungen über die
Reihenfolge war schließlich am 12. Oktober ein gespaltenes Votum beider Ku-
rien138; die Religionsparteien standen sich geschlossen gegenüber.
Die Katholiken brachten in ihrem Votum lediglich Zustimmung zu paralle-
len Beratungen zum Ausdruck, und zwar die Religionsfrage im interkurialen
Ausschuß, der alsbald zu konstituieren sei, die Türkenhilfe in den „ordinari
räten“. Dagegen beantragten die Protestanten in ihrem weit ausführlicheren
Votum vorab die Aufhebung des Geistlichen Vorbehalts durch den König kraft
seiner Machtvollkommenheit als eine vertrauensbildende Maßnahme. Zur Be-
gründung führten sie einmal mehr an, es handele sich um eine für sie diskrimi-
nierende Bestimmung und belaste ihr Gewissen, daß Fürsten, die die Wahrheit
erkannt hätten, keine geistlichen Ämter verwalten dürften, und daß den Unter-
tanen katholischer Stände der Weg zur Wahrheit versperrt würde. Daneben
brachten sie als neue These, der Artikel könne nicht als genuiner Bestandteil des
Religionsfriedens gelten, weil die Stände sich darüber nicht geeinigt hätten, er
vom König auf eigene Verantwortung eingesetzt worden sei und die Stände sich
darin nicht gegenseitig zu etwas verpflichteten. Die Aufhebung wäre die beste
Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit des Religionsausschusses, während das
Fortbestehen zum Hindernis für die Religionsvergleichung werden könne, weil
die Geistlichen aus Furcht, ihre Benefizien zu verlieren, sich der Erkenntnis der
Wahrheit verschließen und keine „libera vota“ abgeben würden139. Erneut ver-
sicherten sie, eine Profanierung der geistlichen Stifte nicht zu beabsichtigen.
Ferdinands Kommissare befürchteten nun angesichts der angespannten Si-
tuation, die ihnen anbefohlene argumentative Zurückweisung des protestanti-
schen Ansinnens werde jene keineswegs zum Einlenken bringen, sondern ihnen
135 Weisung vom 8.10.1556 (wie Anm. 130)
136 Bericht v. 27.9.1556 (wie Anm. 122), fol 139v
137 Bundschuh, S. 154. Zasius konnte sich im Fürstenrat anscheinend Zurückhaltung bei diesem
Punkt leisten; im württembergischen Bericht über die Sitzung fehlt Österreich in der Aufzäh-
lung der dagegen votierenden Katholiken (Ernst, Bw. 4, S. 179).
138 HHStA Wien, RK RTA 37, fol 204r-208r: Antwort der Reichsstände auf die Proposition, am
12.10. übergeben (Kop.).
139 Das Argument wurde schon am 3.10. im Fürstenrat von Sachsen-Weimar vorgetragen (Wolf,
Protestanten, S. 33).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien