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Der Reichstag unter Ferdinands persönlicher Leitung 171
staltungen der Reformationszeit praktiziert worden war, daß zwei Parteien
miteinander stritten und eine „neutrale“ Instanz – häufig die politische Spitze –
schließlich über „Sieg“ und „Niederlage“ entschied176. Stattdessen sollten auf
die wesentlichen Punkte konzentrierte „Konsultationen“ stattfinden, also ge-
meinsames Überlegen der gelehrten Teilnehmer, die wohl nicht unbedingt
sämtlich Theologen sein mußten. Diese Modalitäten entsprachen weitgehend
den Empfehlungen, die der Vertreter des Bischofs von Straßburg, Dr. Chri-
stoph Welsinger, Anfang Oktober in einem Gutachten vorgetragen hatte, das
aus den von Ferdinand befohlenen Sondierungsgesprächen wegen eines „Collo-
quiums nach dem Reichstag“ entstanden war177; Welsinger befürwortete darin
trotz aller negativen Erfahrungen mit Colloquien einen neuen Versuch mit
wenigen sorgfältig auszuwählenden Theologen unter der persönlichen Leitung
des Königs178. (2) Das Ergebnis der Konsultationen sollte als Vorlage an den
Reichstag gelangen – sie hätten also zuliefernde Funktion –, der dann in der
üblichen Weise darüber verhandeln sollte; die Entscheidung wurde also den
politischen Instanzen vorbehalten, und anscheinend war eine Prämisse, daß die
Empfehlungen der Gelehrten zügig (noch während des laufenden Reichstags)
erarbeitet werden sollten. Zasius skizzierte damit einige Grundzüge von Ferdi-
nands Vorstellungen, allerdings blieb ein zentraler Punkt noch unerwähnt, sei
es aus taktischen Erwägungen, sei es, weil Zasius ihn nicht rezipiert hatte.
Obwohl Bayerns Vertreter Dr. Hundt die besonderen Akzente des österrei-
chischen Vorschlags dadurch unterstrich, daß er nur ein Colloquium mit den
soeben skizzierten Modalitäten befürworten wollte, hat es den Anschein, daß
mehrere Mitglieder nur die Zustimmung Österreichs und Bayerns zum Collo-
quium herausgehört haben179. Viel mehr Aufmerksamkeit fanden nämlich die
folgenden Ausführungen von Dr. Konrad Braun, der für den Bischof von
Augsburg im Ausschuß saß. Historisch und kirchenrechtlich argumentierend
trat Braun nachdrücklich für das Generalkonzil ein und warnte vor Sonderwe-
gen wie Nationalkonzil und Religionsgespräch; vor allem letztere hätten noch
nie etwas gefruchtet180. Auseinandersetzungen zwischen Braun und den ihm
beipflichtenden Vertretern der geistlichen Fürsten einerseits, den Protestanten
andererseits beherrschten nun mehrere Diskussionsrunden. Die mehrtägige
Debatte gewann dabei sowohl an Grundsätzlichkeit als auch an polemischer
Schärfe, führte jedoch zu keinen Änderungen der einmal bezogenen Positionen
geschweige denn zu Annäherungen. Nur Lindemann präzisierte sein Votum
alsbald zugunsten des Colloquiums und nahm Anlaß zu der Feststellung, daß
176 Vgl. zu diesem Typ des Religionsgesprächs Hollerbach, S. 102ff; Decot, Religionsgespräch, S.
222
177 s. oben S. 161f; Bundschuh, S. 349f
178 Bundschuh, S. 351f
179 Sowohl ein Bericht der Mainzer Gesandten vom 11.12. 56 (HHStA Wien, MEA RTA 43, fol
64r-66v, hier fol 65r) als auch der Bericht der Württemberger (Ernst, Bw. 4, S. 227) fügt Öster-
reich und Bayern einfach in die Aufzählung derjenigen Stände ein, die das Colloquium befür-
wortet hatten. – Bundschuh, S. 177, wird Zasius’ Votum nicht gerecht mit der Charakterisie-
rung, er habe sich damit von den geistlichen Kurfürsten distanziert, das Colloquium aber nur als
„Notlösung“ befürwortet.
180 Brauns Argumentation ist eingehend besprochen bei Rößner, S. 292ff.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien