Seite - 193 - in Ferdinand I. als Kaiser - Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
Bild der Seite - 193 -
Text der Seite - 193 -
Der Reichstag unter Ferdinands persönlicher Leitung 193
aber keinerlei Verantwortung dafür übernommen, vielmehr habe der König
damals persönlich mündlich zugestanden, daß er den Artikel allein verantworte,
und die ausdrückliche Erwähnung des Dissenses angeboten; wegen dieser Er-
klärungen hätten sie nicht protestiert. Mithin sei der Vorbehalt keineswegs mit
ihrer Herren „wissen [!] und willen wie andere verglichen und beschlossen
articl“ Bestandteil des Abschieds geworden. Nach dem historischen Teil gingen
sie dann zum Angriff auf die rechtliche Verbindlichkeit über: Sie erinnerten
erstens daran, „was in reichs abschiden als beschlossen und vereynigt gesetzt
werden soll“, darüber müßten sich die Stände untereinander und mit dem Kö-
nig verglichen haben, „sonsten wurde es vor unverglichen billich geachtet“;
zweitens erkannten sie der den Dissens ausdrückenden Klausel zu Beginn des
Artikels über den Geistlichen Vorbehalt „desto meer crafft“ zu, weil sie einen
Streit mit dem König selbst betreffe; das faßten sie drittens in der These zu-
sammen: „Und uber dis alles ist es auch in die natur und aigenschafft der con-
stitution und satzungen, so aus aigenen macht, ex plenitudine potestatis gesche-
hen pflegen, das sie der part willen nicht begrieffen“314. Gegen Ferdinands Be-
zugnahme auf die Schlußformel (Artikel 144) des Abschieds spielten sie den
letzten Artikel des Religionsfriedens (§ 30) aus. Diese Argumentation wurde
von nun an beibehalten und von protestantischen Juristen ausgebaut315. Damit
stand Rechtsauffassung gegen Rechtsauffassung.
Ferdinand dachte aber nicht daran zurückzuweichen. Als ihm der sächsische
Gesandte Mordeisen, den er an sich als Gesprächspartner schätzte, in einer
Audienz mit den gleichen Argumenten zu beweisen suchte, daß Kurfürst Au-
gust den „Geistlichen Vorbehalt“ nicht bewilligt habe, wurde er vom König –
wie Zasius es ausdrückte – „sauber und gar abgepuzt, also das ine nit mer lust,
mit Irer Ku Mt. zu freistellionieren oder dasselbe freistellionistisch werk bei Ir
Mt. zu defendieren oder excusieren und vertädigen“316. Erregt verwahrte Ferdi-
nand sich dagegen, die Entstehung des Vorbehalts nicht korrekt dargestellt zu
haben, und beharrte darauf, er habe durchaus mit Wissen aller Stände gehandelt.
Mit der Setzung des Artikels habe er die von den Ständen gekochte Suppe aus-
trinken müssen317. Der Erregung des Königs dürfte auch die – nicht unberech-
tigte – Bemerkung entsprungen sein, er wisse, wie sehr die Bistümer manchen
Leuten „in die Augen stächen“; noch zu Lebzeiten Ferdinands sollte Kurfürst
August nacheinander die drei sächsischen Hochstifte Merseburg, Naumburg
und Meißen vereinnahmen, nach letzterem hatte er bereits 1555 einen ersten
Griff gewagt318. Grundsätzlicher Natur war Ferdinands Argument, es sei nicht
angängig, nach Gutdünken den Abschied eines Reichstages auf dem nächsten
zu ändern, das führe zu Rechtsunsicherheit.
Das war auch der wichtigste neue Aspekt in Ferdinands letzter offizieller
Antwort an die Protestanten, in der er seine Darstellung und Auslegung der
314 Die Zitate fol 467v-468v
315 Heckel, Staat und Kirche, S. 178f; ders., Deutschland, S. 72
316 Brief v. 27.2.1557 an Herzog Albrecht (Goetz, Beiträge, S. 58)
317 Nach Mordeisens Bericht vom 13.2.1557 (SHStA Dresden, Loc 10192, fol 123v-124v; auch
wiedergegeben von Wolf, Protestanten, S. 57).
318 Vgl. Ritter, Deutsche Geschichte 1, S. 193f
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien