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Kapitel 3: Die Übernahme des Kaisertums
1556/58214
nands gegenüber Karl deutlich. Anscheinend hat er Auskunft erbeten, wie Karl
sich die Übertragung an ihn vorstellte. Ferner scheint er als Gefahr angedeutet
zu haben, wenn die Kurfürsten sich übergangen fühlten, könnten sie zu einer
Neuwahl schreiten48. Mit der Anregung, ihm selbst die Vollmacht zu erteilen,
Verhandlungen darüber nach Karls Abreise zu führen, griff Ferdinand auf das
kaiserliche Angebot aus dem Gespräch mit Gúzman im Oktober 1555 zurück.
Somit bekräftigte er seinen Anspruch, über Zeitpunkt und Modalitäten der
Übertragung des Kaisertums mitzubestimmen.
Wenn Ferdinand die Notwendigkeit einer Mitwirkung der Kurfürsten bei
der Herrschaftsübertragung je länger desto mehr betonte, so tat er das einer-
seits, weil er mehr Sensibilität für das aus der verfasssungsmäßigen Sonderstel-
lung gespeiste Selbstverständnis des Kollegiums entwickelt hatte als der auto-
kratischere Bruder, andererseits aus der richtigen Erkenntnis, daß er viel stärker
als Karl auf ein einigermaßen gedeihliches Zusammenwirken mit dieser einfluß-
reichsten Gruppe unter den Reichsständen angewiesen sein würde. In den Pas-
sauer Verhandlungen hatte er die Erfahrung gemacht, daß die Zusammenarbeit
mit ihnen positive Früchte hervorbringen konnte. Allerdings hatte sich seit
1552 die personale Zusammensetzung des Kurkollegiums sehr verändert: Von
den damaligen Mitgliedern waren im Sommer 1556 vier bereits verstorben, und
der Kurfürst Adolf von Köln folgte ihnen im September ins Grab. Ferdinand
mußte zu den meisten neuen Amtsinhabern erst ein persönliches Vertrauens-
verhältnis aufbauen, und darum erachtete er vorherige separate Verhandlungen
als unerläßlich für eine reibungslose Herrschaftsübernahme49. Joachim II. von
Brandenburg, einziger Überlebender des Kurkollegiums von 1552, war zwar
bisher in den entscheidenden Fragen den Habsburgern meist zu Willen gewe-
sen, aber sein politisches Gewicht war gering. Die Zuverlässigkeit der neuen
Erzbischöfe von Mainz und Trier, die erst seit einem Jahr bzw. wenigen Mo-
naten im Amt waren, besser ihre Geneigtheit, sich den habsburgischen Wün-
schen anzupassen, mußte erst erprobt werden, die ersten Versuche waren nicht
eben ermutigend gewesen. Der Übergang der pfälzischen Kurwürde auf den
seinen lutherischen Glauben entschieden betonenden Ottheinrich hatte nicht
nur zur Folge, daß fortan die Opposition gegen die Habsburger im Kurfürsten-
rat einen entschlossenen Stimmführer besaß, von Ottheinrich war auch persön-
lich kaum Willfährigkeit gegenüber Ferdinand zu erwarten. Und mit dem poli-
tisch gewichtigsten von allen, dem sächsischen Kurfürsten August, der das enge
Zusammenwirken seines Bruders Moritz mit Ferdinand 1553 nicht fortgesetzt
hatte, sondern zunächst auf vorsichtige Distanz gegangen war, hatte der König
48 Abwegig ist die Interpretation von Krämer, S. 93, die auf einer von Lutz widerlegten These
Turbas basiert: „Die Sorge um die Vermeidung des Eingeständnisses, daß der Augsburger Reli-
gionsfrieden nur auf Ferdinands Verantwortung und ohne wirkliche Rechtsgültigkeit geschlos-
sen worden war, bildete den Kern der eindringlichen Weigerung König Ferdinands, die Kaiser-
würde und den Kaisertitel alsbald zu übernehmen. Diese Sorge macht erst Ferdinands Befürch-
tungen und seinen Widerstand gegen die frühzeitige Übernahme des Kaisertums verständlich“.
49 In seinem Brief an Karl v. 21.8.1556 (HHStA Wien, Hs. blau 597/3, fol 315v-317v, bes. 316r u.
316v)
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien