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Selds Gutachten 273
Ursprünglich habe das Königtum oder Kaisertum115 auf der Wahl durch das
Volk beruht – Seld bemüht als Beispiele das alte Israel sowie die Kaisererhe-
bungen durch das römische Heer. Bei der Translation des Kaisertums auf Karl
den Großen habe wiederum das Volk in der Stadt Rom eine wesentliche Rolle
gespielt – dieses Argument hatten Marsilius und Ockham vorgetragen116. Au-
ßerdem habe Karl selbst mit Gottes Hilfe durch seine Politik die Voraussetzun-
gen geschaffen117, so daß der Papst keineswegs ausschlaggebend gewesen sei
und auch nicht „aus aigner gerechtigkaitt, sonder allain als ein bott und diener
Gottes“, vergleichbar den alttestamentlichen Propheten, gehandelt habe118. Seld
fügt hinzu, wenn die Übertragung des Kaisertums allein Angelegenheit des
römischen Stuhles wäre, „das nach abgang deß Carolinischen stammens der
Bapst das reich widerumb auf ainen andern stammen hett verwenden müssen,
welches aber nitt beschehen, sonder das reich ist durch ordenliche wal der Stend
auf den sechsischen stammen khommen“119. Vielmehr sei das Kaisertum nach
der Translation auf die Deutschen des öfteren sogar designiert worden, und
jetzt gelte allein das Wahlrecht der Kurfürsten, wie es auf jenem Frankfurter
Reichstag (1338) festgelegt und in der Goldenen Bulle abschließend geregelt
worden sei. Dieser Rekurs auf das Reichsrecht bedeutet sicher keine Konzessi-
on Selds an das Kurfürstenkollegium oder gar an seinen protestantischen
Teil120. Seit Jahrhunderten wurde im Reich die Auffassung vertreten, daß mit
der Translation des Kaisertums auch das Recht zur Kaiserwahl auf die Deut-
schen, letztlich die Kurfürsten, übergegangen sei121. Die konsequente Negie-
rung des Anspruchs der Kurie auf päpstliche Mitwirkung bei reichsrechtlichen
Akten oder gar auf ihre Setzung teilt Seld mit Lupold von Bebenburg122, den er
in diesem Zusammenhang mehrmals ausdrücklich als Gewährsmann nennt. Seld
begründet nicht ein „romfreies“ Kaisertum, vielmehr betont er des öfteren die
Verbundenheit mit der katholischen Kirche, wohl aber vertritt er ein von
päpstlichen Weisungen unabhängiges Kaisertum als unmittelbar im göttlichen
Recht verankerte Institution.
Die Reichsgesetze von 1338 und 1356 sind die Basis, von der aus alle weite-
ren „Anmaßungen“ zurückgewiesen werden. Seld konzediert dem Papst zwar,
vor der Salbung und Krönung zu überprüfen, ob die Wahl ordnungsgemäß
erfolgt und ob der Bewerber rechtgläubig oder infolge eines lasterhaften Le-
115 Seld bemerkt an anderer Stelle (fol 76v/ S. 194), daß früher in der Sache kein Unterschied be-
standen habe, und verweist dafür auf das „Somnium viridarii“, wobei er dessen Tendenz igno-
riert, den Unterschied zwischen Kaiser und französischem König zu verwischen (dazu Royer, S.
133ff).
116 Vgl. Goez, S. 237; Seld führt sie hier nicht als Gewährsleute an.
117 fol 29r/ S. 176. Auch das konnte Seld bei Lupold von Bebenburg lesen (vgl. Barisch, S. 278f), den
er hier aber nicht erwähnt hat.
118 fol 52r/ S. 185
119 fol 53v/ S. 185
120 Auch Maximilian I. hat sich gegenüber der Kurie auf „Licet juris“ berufen (Fichtenau, S. 44).
Abwegig ist F. Wagner, Dante, S. 38: „Das Gutachten zeigt, wie sehr auch die kaiserliche Partei
den Protestantismus nützte zu staatlichen Zwecken in Haltung und Argument“.
121 Im Grunde schon im Braunschweiger Weistum von 1252, vgl. Goez, S. 176f
122 Vgl. Meyer, Lupold, S. 182; Barisch, S. 276
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien