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Selds Gutachten 277
die Sache des alten Glaubens nicht gefährdet worden – das konnte Seld als Mit-
glied des Präsidiums wahrlich beurteilen –, und es sei stets klar gewesen, daß
kein Präjudiz für Papst und Kirche geschaffen würde. Endlich habe es schon
mehrere Religionsgespräche im Reich gegeben, die alle von den Päpsten nicht
angefochten worden seien147, an einigen hätten sogar Vertreter der Kurie teilge-
nommen; vom Wormser Gespräch habe der Papst lange vorher gewußt, ohne
zu opponieren. So vermag Seld hier keine Verfehlung des Kaisers zu erkennen.
(3) Auf den Vorwurf, Ferdinand habe den „Sekten“ durch Untätigkeit Vor-
schub geleistet, reagiert Seld besonders scharf. Bekanntlich habe Ferdinand seit
1521 alle strengen Maßnahmen Kaiser Karls gegen die Neuerer voll unterstützt.
Ursache für die Erfolglosigkeit aller Mandate sei hauptsächlich die Gleichgül-
tigkeit von Papst und Klerus, außerdem hätte die Kurie mitgeholfen, die Auto-
rität der Kaiser auszuhöhlen. Die politische und verfassungsrechtliche Situation
binde den Kaiser inzwischen in allen wichtigen Problemen an das Einverständ-
nis der Reichsstände, zwingen könne er sie nicht. Wenn der Papst jetzt gewalt-
sames Vorgehen fordere, müsse er auch Hilfe leisten, doch könne man die römi-
sche Bereitschaft daran erkennen, daß man lieber die eigenen Verwandten zu
Fürsten erhebe und Kriege anzettele, statt „den heiligen glauben mitt ernst zu
verfechten“148.
(4) Gegen die Anklage, Ferdinand sei Bündnisse mit Protestanten eingegan-
gen, setzt Seld den Nutzen der kaiserlichen Friedenspolitik für katholische
Reichsstände und Christenheit, wozu der Landsberger Bund, dem neben meh-
reren katholischen Ständen die beiden protestantischen Reichsstädte Augsburg
und Nürnberg angehörten, ebenso diene wie der allgemeine Frieden im Reich
einschließlich des Augsburger Religionsfriedens. Auch sei Frieden im Reich
eine Voraussetzung für den Widerstand gegen die Türken. Wiederum folgen
Gegenanklagen: Daß andere christliche Herrscher Bündnisse mit den Türken
oder untereinander zu Kriegszwecken schlössen, lasse der Papst unbeanstandet.
Es gebe sogar Indizien, daß er der türkischen Armada indirekt Vorschub leiste,
ähnlich wie sich einst Papst Johannes XXII. mit den ungläubigen Sarazenen
gegen Kaiser Ludwig verbündet habe149. Paul IV. habe sich selbst durch franzö-
sische Vermittlung mit dem Protestanten Albrecht Alkibiades eingelassen150.
(5) Nach dem zuvor Gesagten ist für Seld der Vorwurf einer Pflichtverlet-
zung Ferdinands oder gar eines Eidbruchs gegenüber dem Heiligen Stuhl ge-
genstandslos: Selbst wenn die angeblich verletzten Pflichten in dem Eid enthal-
ten wären, was nicht zutreffe, wäre ihre Erfüllung unter den gegebenen Um-
ständen unmöglich gewesen.
(6) Schließlich kommt Seld auf den Anlaß des ganzen Streites zurück. Ferdi-
nand sei sehr wohl berechtigt, auch ohne päpstliche Krönung den Kaisertitel zu
gebrauchen. Nochmals trägt er zahlreiche Belege zusammen, daß dem zum
Kaiser Gewählten schon vor der Krönung zustehe, „alle recht und gerechtig-
kaitt, das hey. reich zu administrieren, allain aus der beschehnen wal über-
147 Das war nur dann ganz richtig, wenn Seld nur förmliche Proteste gelten ließ.
148 fol 71v/ S. 192
149 fol 73v/ S. 193; für die historische Parallele beruft sich Seld auf Aventin.
150 Zur Substanz des Vorwurfs vgl. Lutz, Christianitas, S. 444
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien