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Kapitel 4: Der Streit mit Papst Paul IV. – Neue Begründung des
Kaisertums300
Führende evangelische Theologen, allen voran Luther und Melanchthon,
hatten schon seit geraumer Zeit die politischen Ansprüche der Päpste und in
diesem Zusammenhang die kuriale Translationstheorie attackiert302. Dem Jahr
1558 zugewiesen wird eine „Quaestio“ Melanchthons, in der er dem Papst mit
biblischen und historischen Argumenten das Recht zur Übertragung der Kai-
ser- oder der Kurwürde bestritt303. Und es ist sicher kein Zufall, wenn er für
eine Rede anläßlich einer Doktorpromotion in Wittenberg, die dort am 1. De-
zember 1558 von seinem Freund Georg Cracow vorgetragen worden ist, als
Thema die Kämpfe Ludwigs des Bayern gewählt hat304. Einleitend erklärte
Melanchthon, an einem weniger bekannten Beispiel zeigen zu wollen, daß die
Päpste zum Zwecke der Vermehrung ihrer Herrschaft immer wieder große
Unruhe im Reich verursacht hätten. Zwar erwähnte er den aktuellen Konflikt
zwischen Kaiser Ferdinand und Papst Paul nicht, aber die den Hauptteil der
Rede eröffnende Feststellung, zur Zeit Ludwigs sei der Streit darum gegangen,
daß ein ordnungsgemäß von den Kurfürsten Erwählter nicht Kaiser sein könne,
sofern er nicht die päpstliche Bestätigung erhalte, markierte die historische Pa-
rallele in aller Deutlichkeit. Ebenso traf seine im Verlauf der Rede vorgetragene
scharfe Kritik an der Auslegung der Zwei-Schwerter-Lehre und der Translati-
onstheorie durch Ludwigs päpstliche Gegenspieler Positionen, die aktuell von
kurialer Seite vertreten wurden. Dabei bevorzugte Melanchthon in der Regel
kurze Nachweise, daß die „päpstlichen Anmaßungen“ schriftwidrig seien, gele-
gentlich argumentierte er auch mit historische Fakten305. In der Schlußbetrach-
tung stellte er etwas überraschend einen anderen Gegenwartsbezug her: Auch
die derzeitige betrübliche Zwietracht im Reich hätten die Päpste und ihre Hel-
fershelfer verschuldet, namentlich Staphylus, Canisius und Gressenicus – drei
seiner Widersacher während des Wormser Colloquiums. Die Rede wurde als-
bald zum Druck gegeben306.
Noch im Jahr 1559 wurden Übersetzungen von Werken älterer Autoren, die
die Unabhängigkeit des Kaisertums vom Papsttum verfochten, nämlich „De
Monarchia“ von Dante und „De prerogativa imperii Romani“ von Alexander
von Roes, die Seld wohl wegen ihrer schroffen Thesen nicht berücksichtigt hat,
in Basel gedruckt, und zwar – was bisher nicht rezipiert worden ist – mit indi-
rekter kaiserlicher Unterstützung. Die Übersetzungen der beiden Traktate be-
sorgte Johannes Basilius Herold, der während des Reichstages in Augsburg
geweilt und von Zasius von den Überlegungen gehört hatte, wie man sich gegen
die päpstlichen Attacken wehren könne307. Dantes Abhandlung war 1556 von
dem protestantischen Eiferer Flacius Illyricus in seinem antipäpstlichen Traktat
„Catalogus testium veritatis, qui ante nostram aetatem pontifici Romano et
302 Dazu Goez, S. 281ff; Seifert, S. 39f
303 CR 9, Sp. 703–705
304 CR 12, Sp. 286–294, vgl. dazu Goez, S. 290
305 So bei der Behandlung der Erlangung des Kaisertums durch Karl den Großen (Sp. 292). Dante,
Marsilius und Ockham nennt er als Autoren, die die päpstlichen Thesen damals widerlegt hät-
ten, greift aber nicht weiter auf sie zurück.
306 Zu Genesis und Drucklegung s. Scheible/Thüringer, S. 293 (zu Nr. 8795) u. S. 295 (zu Nr. 8803).
307 Burckhardt, S. 52 u. S. 197
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien