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Freistellung und Gravamina 335
verlangte er zwar zu seiner Genugtuung von allen protestantischen Ständen eine
Erklärung, wies aber im persönlichen Gespräch mit dem soeben in Augsburg
eingetroffenen neuen Pfälzer Kurfürsten Friedrich den Weg, nämlich Thanns
Aktion als unüberlegten und unautorisierten Alleingang darzustellen102. Die
recht gewundene Erklärung, in der die Protestanten von Thanns Schrift ab-
rückten und die These aufstellten, es handele sich nicht um eine die Religion
betreffende Angelegenheit, akzeptierte der Kaiser umgehend mit der Bewer-
tung, sie sei der Erledigung des Falles „nit wenig dienlich“103. Ferdinands ener-
gisches, dennoch maßvolles Auftreten wurde von den Protestanten durchaus
gewürdigt, und auch Kurfürst Friedrich fand es begreiflich, daß der Kaiser
Thann, als dieser sich wenig einsichtig zeigte, vor versammeltem Reichstag
persönlich abkanzelte104.
Folge dieses Zwischenfalles war, daß die Duplik der Protestanten auf die kai-
serliche Resolution moderater ausfiel. Sie beschränkten sich darauf, die Über-
weisung ihrer Gravamina an das Reichskammergericht nochmals abzulehnen,
vor allem mit der Begründung, daß den Betroffenen durch längere Wartezeiten
weitere Nachteile entstünden, und baten den Kaiser, noch während des
Reichstages Abhilfe zu schaffen. Sie deuteten an, daß sie von Ferdinand selbst
Entscheidungen erwarteten105.
Aber Ferdinand blieb auf der Linie, den Reichstag nicht mit diesen Streitig-
keiten zu belasten106. Da man am Kaiserhof einsah, daß es einer positiven Al-
ternative bedurfte, wurde nun vorgeschlagen, die Angelegenheiten dem soeben
zur Revision der Ordnung des Kammergerichts vereinbarten nächsten Deputa-
tionstag zu übertragen, der in Speyer zusammentreten sollte, zumal dort auch
die Akten der Prozesse zur Hand wären. Zur Begründung wurde angeführt, die
meisten Fälle würden nun einmal kontrovers betrachtet, so daß ihre Erörterung
viel Zeit beanspruchen würde. Der Kaiser erbot sich, die katholischen Stände
für diesen Gedanken zu gewinnen. Man war am Kaiserhof der Meinung, daß
dieser Vorschlag den Katholiken sogar Vorteile böte und darum ihren Beifall
finden werde. Er war auch von der Sache her vernünftig, wenn man zur Bewäl-
tigung der strittigen Probleme kommen wollte; denn das Reichskammergericht
war ja kein „Verfassungsgericht“ im modernen Sinn, und die Möglichkeit, die
ihm vorgelegten Konflikte „im Wege eines politischen Kompromisses zu lö-
sen“, besaß es nicht107. Was Ferdinand noch hinzufügte, war ein wohlfeiles
Angebot: Falls darauf bestanden werde, daß „Ir Mt. selbs disen irrungen ab-
helffen solt“, sei ihm das „letzlich auch nit zu wider“, jedoch müsse das, da der
Reichstagsabschied deswegen nicht verzögert werden solle, dort geschehen, wo
102 Ebda, S. 84f
103 HStA Marburg, PA 1275, fol 88r-90v: Bericht der hessischen Räte v. 27.6.1559 (Kopie); damit
übereinstimmend Ernst, Bw 4, S. 683
104 Kluckhohn, Briefe 1, S. 87; Ernst, Bw. 4, S. 684
105 HHStA Wien, RK RTA 42, fol 144r/v: Duplik der Protestanten, undatiert; teilweise zitiert bei
Westphal, S. 92f. Zu den protestantischen Beratungen Luttenberger, Kurfürsten, S. 261.
106 HHStA Wien, ebda, fol 5r-6r: F. an die Protestanten, undatierter Entwurf. Diese Antwort des
Kaisers erwähnen Bucholtz 7, S. 452 und Wolf, Protestanten, S. 210, der sie auf den 10.7.59 da-
tiert, danach auch Urban, Restitutionsedikt, S. 136.
107 Rabe, Religionsfriede, S. 262
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien