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Kapitel 10: Kaiser Ferdinand I. im europäischen
Kräftespiel628
nicht nur Österreich und Böhmen, sondern auch Italien und das Reich bald
verloren75. Ungarn im Besitz Ferdinands wurde zur „Vormauer“ oder zum
„Schutzschild“ der Christenheit stilisiert, Argumente, deren sich Ferdinand,
wie bereits dargelegt, auch noch in seinen Kaiserjahren auf den Reichstagen und
gegenüber anderen Herrschern bedient hat; sie waren keineswegs neu, sondern
sind schon von Friedrich III. und Maximilian I. eingesetzt worden, deren politi-
scher Erbe Ferdinand in dieser Hinsicht gewesen ist76.
Jedoch nahm Karl V. den Krieg gegen die Türken an der Balkanfront nicht
auf Dauer in sein politisches Programm auf, nachdem der Sultan den nächsten
Vorstoß nach Ungarn im Sommer 1532 überraschend abgebrochen hatte, ehe
Karl als Oberhaupt der Christenheit ihm dort hatte entgegentreten können;
denn Ferdinands Kämpfe mit Johann Zapolya um die Herrschaft über Ungarn
waren „nicht von der Art, daß Karl die gesammelte Macht der Christenheit zu
aktivem Beistand aufrufen konnte“77. Stattdessen ging Karl bekanntlich im
Mittelmeerraum etliche Male in die Offensive gegen die Muslime und verstand
es, sein erfolgreiches Unternehmen gegen Tunis (1535) propagandistisch für
seine Kaiseridee zu verwerten78. Weil er seine politischen Prioritäten anders
setzte, empfahl er Ferdinand mehrmals, sich mit Zapolya, der ja die Anerken-
nung der Pforte gefunden hatte, zu arrangieren und die Osmanen nicht zu pro-
vozieren. Auf Karls Beurteilung der ungarischen Streitfrage als „Privatsache“
Ferdinands – wenn er ihm auch nicht zumutete, seine Ansprüche preiszugeben
– reagierte dieser mit der genannten These, die Einbeziehung Ungarns in seine
Herrschaft liege im Interesse von Reich und Christenheit. Ihre divergierenden
Ansichten haben die Brüder nie ausgeglichen79.
Der Wechsel von Kämpfen und Verhandlungen mit den Türken in den drei-
ßiger und vierziger Jahren braucht hier nicht rekapituliert zu werden80. Zum
Verständnis der Südostpolitik Ferdinands in der Zeit nach dem Ausscheiden
Karls V. aus der Politik muß indessen der Frieden oder Waffenstillstand mit
den Osmanen, der im August 1547 von den Habsburgern, im Oktober vom
Sultan ratifiziert worden ist, betrachtet werden81. Für Ferdinand am wichtigsten
war die darin vom Sultan zugestandene Anerkennung des Status quo in Ungarn
und damit der habsburgischen Herrschaft über die bislang gehaltenen Teile,
auch wenn das zunächst nur auf fünf Jahre befristet war, wie es osmanischem
Vertragsbrauch entsprach82. Die viel diskutierte Bestimmung, daß Ferdinand als
75 Petritsch, Ungarnpolitik, S. 227
76 Vgl. Lhotsky, Staatsgedanke, S. 377; kritisch dazu Eberhard, Konfessionsbildung, S. 237 Anm.
386
77 Rassow, Kaiseridee, S. 82
78 Duchhardt, Tunisunternehmen, S. 37f u. S. 66ff.
79 Steglich, S. 35 u. S. 47; Hantsch, Problem, passim; Fichtner, Ferdinand I., S. 127ff; Petritsch,
Ungarnpolitik, S. 229
80 Die älteren Darstellungen berücksichtigen entweder die osmanische (so Jorga) oder die habsbur-
gische Sicht (so Huber, Geschichte Österreichs, Bd. 4) genauer. Leider ungedruckt ist die neuere
Analyse von Petritsch, Ungarnpolitik.
81 Weiterführend ist Petritsch, Friedensvertrag; dort auch Druck der Ratifikationsurkunden (S.
71ff).
82 Petritsch, Friedensvertrag, S. 56; vgl. auch Komatsu, S. 135f
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien