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Kapitel 10: Kaiser Ferdinand I. im europäischen
Kräftespiel654
gelten sollte die Übertragung indessen ab sofort290. Obwohl Karl gewichtige
politische Gründe dafür vorbrachte – der Bruder werde sich wegen seiner gro-
ßen Belastung durch die deutschen Probleme nicht genug um das unruhige
Italien kümmern können, was dort zu Einbußen an Autorität und Verlust von
Vasallen führen werde –, wehrte sich Ferdinand, der darin eine Minderung sei-
nes künftigen Kaisertums sah, mit reichsrechtlichen und -politischen Argu-
menten: Es könne in Italien nicht zwei Häupter geben, es bedeute eine Abtre-
tung der Regierung an die Spanier, man werde ihm eine Amputation des Rei-
ches vorwerfen, ohne Zustimmung der Kurfürsten könne er keine Reichsrechte
auf Dauer fortgeben291. In dem von Ferdinand schließlich am 9. März 1551
ausgestellten Revers hieß es dann, er werde Philipp als Regenten und seinen
Vertreter berufen und einsetzen und tue das schon jetzt292; die von Karl V.
selbst gezogene Parallele zu den Vollmachten, die Ferdinand 1531 als Römi-
scher König für die Zeit der Abwesenheit des Kaisers erhalten hatte293, war
aufgegriffen durch die Wendung, Philipp schulde ihm Gehorsam wie der Römi-
sche König dem Kaiser oder „ung lieutenant à son chieff“, die in Philipps Re-
vers ebenfalls eingerückt wurde294. Diese Beschreibung der Stellung des Infan-
ten als Stellvertreter oder Statthalter – ein dem „vicarius“ entsprechender Ter-
minus kommt dagegen in den Papieren aus dem Frühjahr 1551 nicht vor – ist
von der Forschung als Reservatio mentalis Ferdinands gedeutet worden295,
denn sie diente ihm im Jahre 1558 als Hebel, um Philipps weitergehendes und
den Intentionen Kaiser Karls entsprechendes Verlangen abzuweisen.
Karls Verständnis der Abmachungen wird deutlich aus seiner im Herbst
1555 in Auftrag gegebenen Urkunde für die Übertragung eines „vicariatus ge-
neralis et perpetui totius Italiae“ auf seinen Sohn296, in der Philipp die ständige
Ausübung der Kaiserrechte in Italien (unter Wiederholung der 1551 vereinbar-
ten Ausnahmen) zu erblichem Besitz verliehen wurde, und zwar nicht nur im
Falle seiner persönlichen Anwesenheit bei gleichzeitiger Abwesenheit des Kai-
sers, sondern mit dem Recht, sich vertreten zu lassen297. Da die von Karl V.
zwar unterfertigte und vom Bischof von Arras sowie vom Reichsvizekanzler
Seld gegengezeichnete Urkunde nicht publiziert worden ist, wurde sie nicht
290 Karls Verlangen und seine Gründe dafür sind als Punkt 2 in einem Memorandum des Bischofs
von Arras enthalten, mit dem auf mehrere Bedenken Ferdinands geantwortet wurde (Druck bei
Druffel 3, S. 180ff, deutsche Übersetzung bei Kohler, Quellen, S. 405ff; die Italien betr. Passage
S. 181 bzw. S. 406. Ferdinands Revers bei Druffel 3, S. 196ff; zu Inhalt und Bedeutung Turba,
Beiträge 2, S. 9f, Rill, Reichsvikar, S. 190f, und Lutz, Christianitas, S. 322 Anm. 24
291 Druffel 3, S. 191: Undatierte Aufzeichnung der Königin Maria über Ferdinands Einwände. Zur
Bedeutung im Rahmen der Sukzessionsfrage Laubach, Nachfolge, S. 47f
292 „...nous députerons et ynstituirons ledit seigneur prince pour gouverneur et nostre lieutenant en
l’Italie, come le deputons et ynstituons dois asteure pour lors...“ (Druffel 3, S. 197)
293 Durch ein geheimes Dokument war Ferdinands Stellung de facto auf die eines Administrators
eingeschränkt worden (vgl. Thomas, Moderacion, S. 137).
294 Druffel 3, S. 200
295 Turba, Beiträge 2, S. 9f; Rill, Reichsvikar, S. 191 mit Ausführungen über den Unterschied der
rechtlichen Stellung eines Reichsvikars und eines Statthalters.
296 So die Charakterisierung im Protokoll des Reichshofrates, zitiert nach Turba, Beiträge 3, S. 282
Anm. 2
297 Maurenbrecher, HZ 50, S. 26; vgl. Lutz, Christianitas, S. 419
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien