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Italien 657
den schriftlichen Vereinbarungen von 1551 nichts von einer Residenzpflicht in
Italien, und Arras bemerkte dazu, davon sei auch in den mündlichen Verhand-
lungen nie die Rede gewesen310. Stattdessen war in den Reversen kaiserliche
Abwesenheit von oder Präsenz in Italien das Kriterium für die Ausübung der
Kaiserrechte durch Philipp als „lieutenant“. Im Zusammenhang mit den von
seiten Karls V. vorgebrachten Gründen für die Übertragung war Ferdinands
Auslegung jedoch nicht unlogisch, denn es war nicht einzusehen, warum ein
abwesender Statthalter die Interessen der Habsburger in Italien wirksamer ver-
teidigen könne als ein abwesender Kaiser.
Infolgedessen verweigerte Ferdinand in einer weiteren Unterredung die Li-
zenz zur Ausübung des Vikariats nach den Vorstellungen Philipps. Überdies
verlangte er, wenn er ein Privileg mit den in seiner schriftlichen Antwort aus-
geführten Spezifizierungen zur Stellung Philipps erteile, dürfe dieser erst nach
dem nächsten Reichstag davon Gebrauch machen311. Schließlich sprach er dem
zentralen Argument von Bruder und Neffen, er brauche zur Wahrung der kai-
serlichen Autorität in Italien dort einen machtvollen Vertreter, die Berechtigung
ab: Er halte das Vikariat für überflüssig, sein Bruder habe dessen länger als
dreißig Jahre nicht bedurft312. Philipp II. zog umgehend die Konsequenzen. Da
das Angebot Ferdinands seinen Interessen nicht genügte, billigte er das Verhal-
ten seines Botschafters, der den kaiserlichen Entwurf nicht angenommen hatte,
und gab Anweisung, die Sache nicht mehr zu verfolgen313. Daß diese Entschei-
dung von Rücksichtnahme auf Ferdinands Schwierigkeiten mit dem Papst dik-
tiert worden sei314, erscheint zweifelhaft, wenn man bedenkt, wie lau in den
folgenden Monaten Philipps Engagement für den Wunsch des Kaisers war, in
den Frieden mit Frankreich einbezogen zu werden315.
Erledigt war die Angelegenheit damit noch nicht. Philipp machte sich bald
darauf Schwierigkeiten Ferdinands, seinen kaiserlichen Entscheidungen in Itali-
en Geltung zu verschaffen, zunutze, um dem Onkel zu verdeutlichen, daß die
Übertragung des Reichsvikariats eben doch das beste Mittel sei, solchen Pro-
blemen zu entgehen. Im Juli 1558 hatte die Bevölkerung der kleinen Markgraf-
schaft Finale in Ligurien bei einem Aufstand, durch den der Markgraf vertrie-
ben wurde, die Unterstützung der Republik Genua gefunden, die das Territori-
um unter Berufung auf alte Lehnsrechte okkupierte316. Der Markgraf wandte
sich an Kaiser Ferdinand als die oberste Instanz und erhielt die Fürsprache
Philipps II., der dabei die treuen Dienste rühmte, die dieser Vasall des Reiches
Karl V. geleistet habe317. Da Genua es wagte, die auf eine ausführliche Darle-
310 CDI 98, S. 28ff: Bericht Quadras v. 31.7.1558; ebda, S. 40ff: Memorandum Arras’ zu Ferdinands
Auslegung. Rill, Reichskommissar, S. 192, verweist jedoch auf ein Gutachten Selds, aus dem
hervorgehe, daß man in Wien die Residenzpflicht als konstitutiv für die Statthalterschaft angese-
hen habe.
311 Ebda, S. 29
312 Ebda, S. 33: Bericht Quadras v. 5.8.1558
313 CDI 98, S. 36ff: Philipp an Quadra, 6.9.1558
314 So Kohler, Gesamtsystem, S. 31
315 s. unten S. 668
316 Zum Verlauf Pugliese, S. 66f; Edelmayer, Maximilian II., S. 8ff
317 Zwei Schreiben Philipps an F. in dieser Sache in CDI 98, S. 45f u. S. 93f
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien