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Kapitel 10: Kaiser Ferdinand I. im europäischen
Kräftespiel690
stoß gegen den Landfrieden untersagt561. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß
Ferdinand jedoch über kein Mittel verfügte, seinem Erlaß auch Geltung zu
verschaffen. Ein paar Monate später sah er sich genötigt, die Lübecker an die
Unzulässigkeit der Lieferung von Proviant und Rüstungsgütern nach Rußland
zu erinnern und ihnen zu verweisen, daß sie ihrerseits Waren Revaler Kaufleute
beschlagnahmt hatten562. Noch weniger hielten sich die westeuropäischen Han-
delsmächte an das Warenembargo563.
Ferdinand hatte wohl eigentlich abwarten wollen, welche Empfehlungen die
vom Reichstag mit der weiteren Beobachtung der Entwicklung in Livland be-
auftragten Fürsten abgeben würden. Nach wie vor hielt er die Linie ein, nur im
Einvernehmen mit den Reichsständen handeln zu können564. Den auf schnellere
Bereitstellung der Reichshilfe drängenden Herzog von Mecklenburg beschied
er Ende September 1559, er beabsichtige keine über den Abschied des Reichs-
tags hinausführenden Maßnahmen zu ergreifen565. Von den bewilligten Geldern
wurde jedoch bis zum gesetzten Termin und auch danach fast nichts eingezahlt,
und es wurde schon erwähnt, daß der Versuch Ferdinands, einige Städte zur
Vorfinanzierung zu bewegen, mißglückte. Als im Sommer 1560 die drei „Liv-
landbeauftragten“ wegen der neuen russischen Offensive im Baltikum anregten,
die Obersten der Reichskreise zusammenzurufen, um über die Rettung Liv-
lands zu beraten, lehnte Ferdinand mit dem Argument ab566, den Kreisen wäre
nur die Wahrung des Landfriedens aufgetragen, darum würden die Obersten
sich zweifellos verweigern567. Stattdessen versprach er, das Thema auf die Ta-
gesordnung des inzwischen auf den 22. September vertagten Deputationstages
in Speyer zu setzen. Der dort von seinen Vertretern verlesene Bericht über die
kaiserlichen Schritte zugunsten Livlands verdeckte mit einer langatmigen Erin-
nerung an die Beschlüsse des Reichstages, daß das Jahr ohne wirksame Aktivi-
täten verstrichen war568: Neben der Sendung Hoffmanns nach Moskau und den
Schreiben an die anderen Könige, auf die aber nur von Polen und Dänemark
unbefriedigende Antworten eingegangen waren, hatte Ferdinand nur noch mit-
zuteilen, daß die Vorfinanzierung der Reichshilfe trotz seiner Bemühungen von
den drei Städten abgelehnt worden war und daß er den ständischen „Livland-
Ausschuß“ ebenfalls nach Speyer eingeladen hatte. Die Anmerkung, der Zar
habe in Livland zahlreiche Orte okkupiert, rücke immer weiter vor und beab-
sichtige offenbar, „auch ander anrurenden landen seinen willen ausszugeben“,
war eine sehr zahme Umschreibung der verschärften Lage im Baltikum und
verschwieg die verheerende Niederlage, die der Orden in der Schlacht bei Er-
561 Schirren 4, S. 298ff (Nr. 541 u. 542); Beschlußfassung im Reichshofrat am 2.4.1560 (HHStA
Wien, RHRP 17, fol 178); vgl. Dreyer, S. 94f
562 F. an Lübeck, 30.7.1560 (Bienemann 4, S. 36f)
563 Vgl. z.B. für England Donnert, S. 259
564 So in einem Schreiben an Kettler v. 5.7.1560 (Schirren 5, S. 147ff)
565 HHStA Wien, RHRP 17, fol 112r/v: Eintrag zum 27.9.1559
566 Ebda, fol 207r/v: Eintrag zum 13.7.1560; vgl. Reimann, Verhalten, S. 373f
567 Die Deutung von Erdmann, Ferdinand I., S. 20, er habe eine Kompetenzerweiterung der Kreise
verhindern wollen, überzeugt nicht; denn bei Aufnahme des Gedankens wäre die Berufung der
Kreise ja vom Kaiser veranlaßt worden, er hätte also einen Präzedenzfall schaffen können.
568 MLA 5, S. 727ff, das folgende Zitat S. 730
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien