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DIE PRIVATBIBLIOTHEK FERDINANDS IN PRAG 1850–1875 171
schiedlich. Während die zahlreichen Zeitungen religiösen Inhalts für ei-
nen erzkatholischen Herrscher nicht weiter verwunden, dürften die Tirol
und Vorarlberg fokussierenden Erscheinungen wohl noch ein Erbe aus der
Innsbrucker Zeit 1848/50 sein. Hervorzuheben sind vielleicht die Frankfur-
ter Postzeitung (eine der ältesten ihrer Art im deutschen Sprachraum), das
französische Journal des débats (gegr. 1789 u. a. zur Veröffentlichung der
Protokolle der Nationalversammlung) oder die eher liberal und antikleri-
kal gesinnte Grazer Tagespost. Angesichts der Menge an pränumerierten
Zeitungen und Zeitschriften stellt sich natürlich die Frage nach den Eige-
ninteressen Ferdinands und seiner Gattin respektive, ob sie auch nur ei-
nen Bruchteil davon jemals gelesen haben. Es steht zu vermuten, dass der
Großteil nur von den (Spitzen)beamten des Hofstaats gelesen oder vielleicht
sogar nur auf deren Wunsch bestellt wurde. Ähnliches ist hinsichtlich der
Benützung auch für die von Franz I. bestellten Zeitungen bekannt.587 Wie
lange man die einzelnen Blätter bezogen hat, kann für die allermeisten nicht
festgestellt werden. Nur ein Bruchteil davon wurde gesammelt und aufbe-
wahrt und ist durch die Zuweisung zum Bestand der Ferdinandea auch im
gedruckten Katalog der Familien-Fideikommissbibliothek ausgewiesen. Der
Rest wurde wohl vernichtet oder verschenkt. Erst Moritz von Becker, der
Nachfolger Khloybers als Vorsteher der Fideikommissbibliothek, sieht in sei-
nem Arbeitsprogramm von 1870 unter anderem vor, die von Kaiser Franz
Joseph pränumerierten Zeitungen und Zeitschriften nach deren Gebrauch in
der Bibliothek zur archivieren.
Auch ein Gesuch an Ferdinand vom Jänner 1875 zur Förderung respek-
tive Rettung einer Zeitung ist aktenmäßig belegt. Vermutlich auf Initiative
des Prager Erzbischofs Friedrich Fürst Schwarzenberg wird dem Kaiser
mitgeteilt, dass eine der drei in Prag erscheinenden Arbeiterzeitungen, die
konservative und katholische „Delnické Nóviny“, insolvent sei (350 fl. Schul-
den) und bereits durch die St. Wenzel-Vorschusskasse unterstützt wird. Die
geringe Anzahl von nur etwa 400 Abonnenten könne eine weitere Existenz
des Blattes nicht garantieren. Der zweiten Arbeiterzeitung, der liberalen
und immerhin religionsfreundlichen „Delnické Listy“, drohe ein ähnliches
Schicksal. Müsste man den Druck der beiden Blätter einstellen, so würde
man das Feld der radikal-kommunistischen „Budoucnost“ überlassen. Im
Falle einer Rettung könnte ein Zusammenschluss der beiden Zeitungen de-
ren längerfristiges Überleben sichern. Ein ad-acta Vermerk lässt jedoch ver-
muten, dass Ferdinand in dieser Angelegenheit nicht aktiv wurde.588
587 Huber-Frischeis/Knieling/Valenta, Privatbibliothek, 105.
588 Prag, Narodni Archiv, hofmistra cisare Ferdinanda I., Rubr. 22, Kt. 36.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken