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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM698
oder künstlerischen Werke in den eigenen vier Wänden, die umso ausgepräg-
ter war, wenn die Personen nicht in Wien wohnhaft waren und die Stadt
entweder nicht besuchen konnten oder wollten. Wurde in diesen Fällen der
Verleih dennoch nicht bewilligt, dann etablierten sich andere Lösungen: Be-
amte der Fideikommissbibliothek recherchierten Informationen in einschlä-
gigen Werken oder führten Autopsien an Handschriften und Grafiken auf
der Grundlage der in den Anfragen enthaltenen Angaben durch. Manchmal
wurden Manuskriptseiten oder Bilder auch abfotografiert, um die Reproduk-
tionen Forschern anstelle der Originale zur Verfügung zu stellen.976
Natürlich etablierte sich diese Art der Nutzung nur allmählich und schritt-
weise und es gab Personenkreise, die darin – vor allem am Anfang – privile-
giert waren. Dazu gehörten in erster Linie Hof- und Staatsbedienstete, die in
wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen tätig waren und der Fidei-
kommissbibliothek oder deren vorgesetzter Behörde meist nahestanden. Wis-
senschaftliche oder gesellschaftliche Reputation, Interventionen und persön-
liche Netzwerke waren – wie sollte es auch anders sein – für die Benutzung
der Sammlung von großem Vorteil; in den ersten Jahren des hier behandelten
Zeitabschnittes, also in der 1860er und 1870er Jahren, dürften sie sogar un-
abdingbare Voraussetzung gewesen sein. Im Laufe der Zeit liberalisierte sich
der Zugang jedoch gewissermaßen selbstorganisatorisch: In dem Maß, in dem
die Inanspruchnahme der Sammlung anstieg, sank die Hemmschwelle auch
bei jenen Personen, die nicht zu den erwähnten Privilegierten gehörten, ent-
sprechende Anträge zu stellen, und stieg zugleich die Bereitwilligkeit in der
Fideikommissbibliothek, dem Druck von außen nachzugegeben.
Über die Nutzung der Sammlung vor Ort zu Recherche- und Forschungs-
zwecken konnten nur wenige Details in Erfahrung gebracht werden, da da-
rüber keine systematischen Aufzeichnungen und Regelungen vorhanden
sind, sondern lediglich verstreute Hinweise in den Akten. Welche Arbeits-
plätze den Benutzern zur Verfügung gestellt wurden und ob sie bei ihrer
Tätigkeit unter Aufsicht standen, ist unbekannt. Soweit dies heute noch
rekonstruierbar ist, dürften Recherchetätigkeiten von Hof- und Staatsbe-
diensteten, die gewissermaßen „offiziellen“ Charakter hatten und mit diver-
sen Empfehlungen ausgestattet waren, den Keim der Benützung der Fidei-
kommissbibliothek zu Studienzwecken gebildet haben. Eines der frühesten
Fallbeispiele sind wohl die Nachforschungen in der Fideikommissbibliothek
durch Alfred von Arneth 1862 im Rahmen seiner Arbeiten zur „Geschichte
Maria Theresia’s“.977 Dokumentiert ist außerdem in den späten 1860er Jah-
ren die Benutzung der Sammlung durch Quirin Leitner und Hans Petschnig,
976 FKBA37030, FKBA38081, FKBA38108, FKBA39005.
977 Vgl. den Beitrag von Thomas Huber-Frischeis in diesem Band, Abschnitt 5.4, S. 206–209.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken