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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM810
besorgt hatte, sondern auch der geistige Autor des Textes war. Nicht der
Vorstand, sondern der zweite Skriptor zeichnete also für die Festschreibung
der Richtlinien für die künftige Erwerbungspolitik der Fideikommissbiblio-
thek verantwortlich. Ist dieser Umstand an sich schon bemerkenswert, so
gewinnt er weitere Brisanz dadurch, dass in der Auseinandersetzung zwi-
schen Karpf und Chertek um die Vorlage und Gültigkeit dieser Richtlinien
die Autorschaft Schnürers weder vom Bibliotheksvorstand noch vom Gene-
raldirektor erwähnt wird. Bevor wir uns dem weiteren Verlauf der Angele-
genheit widmen, muss allerdings auf den Inhalt des Regulativs näher einge-
gangen werden.
Der erste Teil des Textes beschäftigt sich mit den Erwerbstrategien für
die Büchersammlung. Unter den vier Arten der Bestandserweiterung – Wid-
mung an den Kaiser, Gratiszuwendung, Bezug durch Mitgliedschaft und An-
kauf – war hier eigentlich lediglich die letztere von Interesse, da ja nur bei
der gezielten Erwerbung von einer Sammlungspolitik die Rede sein kann.
Infolgedessen widmet das „Regulativ“ auch den größten Teil seiner Ausfüh-
rungen dieser Kategorie. Schnürer unterscheidet hier zwischen Neuanschaf-
fungen, Fortsetzungen und Zeitschriften und unterteilt die erste Gruppe
wiederum in drei Unterklassen:
„a) Werke zum Nachschlagen für den täglichen Gebrauch (Sprach- und Ortsle-
xika, Schematismen, Genealogische Taschenbücher u. dgl.) […] b) Werke, die
speziell zum Hilfsgebrauch für den Bibliotheksdienst gehören: Bücherlexika,
Bibliographien, Literaturnachweise u. ä.; als Unterabteilung sind hier anzu-
reihen solche Bücher, welche den Hilfsapparat der Porträtsammlung1415 bilden
[…] c) Werke von selbständiger, wissenschaftlicher Bedeutung.“1416
Erneut war es nur eine, nämlich die zuletzt genannte Gruppe, die einer aus-
führlich begründeten Beschränkung bedurfte; denn sie war inhaltlich völlig
unbestimmt und umfasste theoretisch alle (wissenschaftlichen) Disziplinen.
Der historische Kern der Fideikommissbibliothek, die Privatbibliothek Kai-
ser Franz’ II./I., war im Grunde eine universale Büchersammlung, wenn sie
auch Schwerpunkte in einzelnen Gebieten besaß. Dieser Umstand wird noch
durch den Beckerkatalog bezeugt, der den Bücherbestand der Fideikommiss-
bibliothek in nicht weniger als 30 allgemeine Wissensgebiete auffächert.
Mit der zunehmenden Differenzierung der Wissenschaften und der damit
einhergehenden Zunahme des Umfanges der Forschungen sowie mit dem
massenhaften Anstieg der Buchproduktion war dieser Anspruch jedoch nicht
1415 Vgl. Abschnitt 2.3.1.
1416 FKBA37193, fol. 2v–3r.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken