Seite - 813 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
Bild der Seite - 813 -
Text der Seite - 813 -
GENESE EINER HABSBURG-LOTHRINGISCHEN FAMILIENSAMMLUNG 813
Die von Schnürer formulierten Bestimmungen fanden bei seinem unmittel-
baren Vorgesetzten, Bibliotheksleiter Alois Karpf, anscheinend wenig Zu-
stimmung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er das Schriftstück absichtlich
zurückhielt, weil er sich nicht an die darin festgelegten Ankaufskriterien
halten wollte. Als Karpf aber am 11. Dezember 1900 von Generaldirektor
Chertek in dem eingangs zitierten Schreiben aufgefordert wurde, „die Auf-
stellung des vorerwähnten Programmes neuerlich in Erwägung zu ziehen
und mir Gelegenheit zu biethen mich über dasselbe aussprechen zu kön-
nen“,1423 war er gezwungen, das „Regulativ“ an die Generaldirektion weiter-
zuleiten. Er tat dies vier Tage später. Doch Karpf unterließ es dabei nicht,
in einem ausführlichen Begleitschreiben die Usancen der bisherigen An-
kaufspolitik zu rechtfertigen und damit zu versuchen, Schnürers rigide Vor-
schriften und Einschränkungen gewissermaßen zu entschärfen.1424 Er bezog
sich dabei auf das von Moritz Alois von Becker am 26. September 1870 bei
seinem Antritt als Bibliotheksdirektor verfasste Arbeitsprogramm,1425 das
vom Kaiser mittels Kabinettsschreiben vom 10. März 1871 gebilligt worden
war.1426 Nach Karpfs Einschätzung wären „zwischen dem von Seiner Majes-
tät a. g. sanctionierten Entwurf des Hofrathes von Becker und dem neuen
Entwurf principielle Unterscheide vorhanden, die sich nach der unmassgeb-
lichen Meinung der Bibliotheksleitung nicht überbrücken lassen.“1427 Die
nachfolgenden Begründungen sind kaum nachvollziehbar. Sie laufen im
Wesentlichen darauf hinaus, dass bis jetzt sowohl der Habsburger-Schwer-
punkt gepflegt als auch andere Bestände laufend ergänzt worden wären, die
nicht unter diesen fallen würden, aber ebenfalls qualitative und quantita-
tive Kernbestände der Sammlung darstellen. Resümierend hält Karpf fest:
„Im Hinblick auf die Gesammtthätigkeit der Bibliotheksleitung kann also
wol die Behauptung ausgesprochen werden, dass die Abtheilung ‚Habsbur-
gica‘ vor allem gepflegt worden ist, ohne dass die übrigen Abtheilungen eine
empfindliche Einbuße erlitten haben […]“.1428 Der leitende Kustos wollte sich
eine gewisse Entscheidungsfreiheit bei der Erweiterung der Sammlung of-
fensichtlich nicht nehmen lassen. Gerade was „den Ankauf von Werken von
selbständiger wissenschaftlicher Bedeutung anbetrifft“, sah er das neue Re-
gulativ als zu eng gefasst und nicht durch das Programm Beckers gerechtfer-
tigt. Denn es gebe
1423 FKBA36057, fol. 2v.
1424 FKBA37193, fol. 6r–9v.
1425 FKBA26135.
1426 FKBA27004.
1427 FKBA37193, fol. 7r.
1428 FKBA37193, fol. 9r.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken