Seite - 816 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM816
die Individualität des jeweiligen Leiters wieder, konnte aber bei dem Mangel
einer festen Norm und bei den wechselnden Ansichten über Zweck und Auf-
gabe des Instituts keine sichere Grundlage abgeben für den weiteren Aufbau
der Sammlungen. – So musste es schließlich dahin kommen, daß die Fidei-
kommiß-Bibliothek mehr den Charakter eines umfangreichen Büchermaga-
zins gewann, in dem sich wahllos aufstapelte, was eben der Zufall und ein
schwankendes Prinzip zusammenbrachte, als den einer Bibliothek, in der
eine bestimmte, klar erkannte und streng eingehaltene Tendenz das geistige
Band bildet, welches die Masse der Einzelheiten umfaßt und zusammenhält.
/ Dieser Entwicklungsgang bedingt es, daß sich nun allmählig immer gebiete-
rischer die Frage aufzudrängen begann: soll die Bibliothek an dieser Univer-
salität und der Berücksichtigung aller Wissenschaften bei der Erweiterung
der Sammlungen festhalten oder soll sie durch Aufstellung eines engeren, fest
umschriebenen Programms, durch die Pflege einer bestimmten Eigenart einen
spezifischen Charakter zu gewinnen suchen?“1437
Nachdem diese Frage mit dem Inkrafttreten des „Regulativs“ beantwortet
war, gab es ein paar unmittelbare Konsequenzen: Generaldirektor Chertek
veranlasste gegen Ende des Jahres 1900 die Kündigung des Bezuges von
über dreißig Periodika und Fortsetzungswerken1438 und Bibliotheksleiter
Karpf lehnte als Reaktion auf die neuen Vorschriften in die kommenden Jah-
ren eine Reihe von Kaufangeboten mit der Begründung ab, dass sie nicht
den Sammlungsrichtlinien entsprechen würden.1439 Nicht immer jedoch wa-
ren die Situation eindeutig und die Meinungen einhellig. Mitunter stand
die recht enggefasste Auffassung Schnürers vom spezifischen Sammlungs-
auftrag der Fideikommissbibliothek auch isoliert da und das lässt sich wohl
am besten anhand der Verhandlungen über den Nachlass des Botanikers
Leopold Trattinnick (1764–1849) illustrieren, die sich über ein ganzes Jahr-
zehnt hinzogen. Er wurde der Fideikommissbibliothek das erste Mal Ende
Juni 1902 von einer „Frau Regierungsräthin Prof. Weiss“ zum Kauf angebo-
ten. Trattinnick war von 1809 bis 1835 Kustos des Hofnaturalienkabinettes
gewesen und seit 1820 Mitglied der Leopoldinisch-carolinischen Deutschen
Akademie der Naturforscher; er veröffentlichte eine Reihe von kostspieli-
gen botanischen Tafelwerken, die die Fideikommissbibliothek großteils be-
sitzt. In seiner Hinterlassenschaft befanden sich die Originalaquarelle, die
von verschiedenen Malern als Vorlagen für die Illustrationen dieser Publi-
1437 Wien, ÖStA, HHStA, GdPFF, S.R., Kt. 17,2, Z. 1450 ex. 1899: Manuskript ohne Titel aus
der Feder Schnürers, s. l., s. d., [pag. 5–6].
1438 FKBA36057, FKBA36062.
1439 FKBA36107, FKBA36123, FKBA36142, FKBA36198.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken