Seite - 817 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
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GENESE EINER HABSBURG-LOTHRINGISCHEN FAMILIENSAMMLUNG 817
kationen angefertigt worden waren. Wie Karpf in seinem Gutachten fest-
hält, wären sie eine sinnvolle Ergänzung zu den umfangreichen Beständen
an Pflanzenzeichnungen gewesen, die die Fideikommissbibliothek besitzt.
Diese Einschätzung ist im Jahr 1912 noch vom Naturhistorischen Museum
und von Rudolf Payer von Thurn geteilt worden, der damals immerhin Bib-
liothekar der Fideikommissbibliothek und Stellvertreter ihres nunmehrigen
Direktors Franz Schnürer war.1440 Der Akt enthält auch ein Gutachten zum
Nachlass Trattinnicks von Richard von Wettstein aus dem Jahr 1895, auf
das sich Karpf bei seiner Empfehlung bezieht. Laut diesem ist ein großer
Teil der Bilder „von künstlerisch und wissenschaftlich vollkommenster Aus-
führung“,1441 und diese Einschätzung findet sich auch in der bereits erwähn-
ten Stellungnahme des Naturhistorischen Museums. Unter diesen Um-
ständen ist es bemerkenswert, dass sich unter den Argumenten, mit denen
Schnürer im Dezember 1908 die Erwerbung des Nachlasses Trattinnicks
ablehnte, nachdem dieser erneut zum Kauf angeboten worden war, auch die
mangelnde künstlerische und wissenschaftliche Qualität der Zeichnungen
angeführt findet. Den zentralen Beweggrund für seine Empfehlung nennt
Schnürer jedoch gleich zu Beginn seines Gutachtens: Der Ankauf würde
„gänzlich aus dem Rahmen der für Neuerwerbungen in der FKB gesetzten
Norm fallen, die der Bibl. in erster Linie den Charakter einer Habsburgi-
schen Hausbibliothek zu bewahren die Tendenz haben. Irgendwelche Be-
ziehungen zur habsburgischen Hausgeschichte lassen sich jedoch hier nicht
ausfindig machen“.1442
Nach meiner Einschätzung war dieses Fallbeispiel aber durchaus nicht
repräsentativ im Hinblick auf die Frage, ob die Richtlinien des „Regulatives“
in Zukunft bei der Ankaufspolitik der Sammlung rigide eingehalten wur-
den, und zwar selbst unter der Leitung Schnürers. Es sei an dieser Stelle
daran erinnert, dass er als Vorstand der Sammlung zu Beginn des zweiten
Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts die von Becker begründete Tradition der
kostenschonenden Ergänzung und Vervollständigung von Reihenpublikatio-
nen und mehrbändigen Werken wissenschaftlicher Institutionen und Gesell-
schaften mit Nachdruck vorantrieb – eine Initiative, die wohl kaum aus dem
enggefassten Verständnis der Fideikommissbibliothek als reiner Habsbur-
gersammlung verstanden werden kann. Zugleich lässt sich auch für die Zeit,
da die Sammlung unter der Leitung Schnürers stand, keine konsequent ver-
folgte Erwerbungspolitik im Sinne dieses Schwerpunktes konstatieren (vgl.
Abschnitt 3.2.2). Diese Widersprüche klären sich erst dann auf, wenn man
1440 FKBA36154, fol. 3r (Karpf), fol. 7v–8v (Naturhistorisches Museum, Payer von Thurn).
1441 Ebenda, fol. 9r–v.
1442 FKBA36154, fol. 5r.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken