Seite - 818 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM818
die eigentliche Motivation, die Schnürers Sammlungsrichtlinien zugrunde
lag, zu ergründen sucht.
Hier existierte nämlich ein zunächst gar nicht ins Auge fallender Un-
terschied zum Verständnis Beckers über die Funktion der Fideikommiss-
bibliothek: Ihre Etikettierung als „Familien-Sammlung“ bedeutete für
diesen in erster Linie, dass sie für den Gebrauch der Herrscherdynastie be-
stimmt war. Schnürers Ausführungen lassen jedoch erkennen, dass er die
Fideikommissbibliothek zu einer Schwerpunktsammlung über das Haus
Habsburg-Lothringen weiterentwickeln wollte. Diese Tendenz ergab sich
zwangsläufig aus der von ihm verfolgten Idee der Gründung eines Habsbur-
germuseums mit Beständen der Sammlung, deren Konzeption Schnürer seit
gut einem Jahr – mindestens ab Jänner 1899 – entwickelte. Dieses Projekt
wurde von Generaldirektor Chertek befürwortet und darf auch als ein Ver-
such verstanden werden, mittels dessen Schnürer seinen Karriere-Ambitio-
nen zum Durchbruch verhelfen wollte, da er sich selbst als künftiger Direk-
tor des geplanten Museums sah. Der komplizierte Diskurs, der sich rund um
das Projekt entwickelte und seinen Niederschlag in zahlreichen Denkschrif-
ten Schnürers fand, in denen er die Idee weiterentwickelte, soll erst weiter
unten in einem eigenen Abschnitt (3.3) im Detail rekonstruiert und ausführ-
lich gewürdigt werden. An dieser Stelle seien lediglich ein paar Einzelheiten
aus einer der besagten Denkschriften – nämlich jener oben erwähnten vom
April 1899 – nachgetragen, die wie die bereits daraus zitierte Stelle zeigen,
wie Schnürers Argumentation zwangsläufig auf die Satzung der Richtlinien
des „Regulativs“ hinauslief.
In diesem Memorandum bezog sich Schnürer das erste und einzige Mal
auf schriftliche Quellen zur Entstehung und Geschichte der Fideikommiss-
bibliothek, vor allem auf die das Fideikommiss betreffende Stelle aus dem
Testament Franz’ II./I., die er im Wortlaut zitiert.1443 Interessant ist nun,
dass Schnürer zunächst ganz offen zugibt, dass „der hochselige Gründer der
Bibliothek dieselbe […] nicht im Hinblick auf ein bestimmtes wissenschaftli-
ches oder künstlerisches Ziel, mit der Tendenz nach einer spezifischen Aus-
gestaltung errichtete“ – eine Einschätzung, die auch von Becker in seinem
„Arbeitsprogramm“ geteilt1444 und der universellen Ausrichtung der eins-
tigen Privatbibliothek gerecht wird. Allein aus dem Umstand, dass Franz
auch „die wo immer befindlichen Familienbilder“ sowie „Gegenstände […],
1443 Wien, ÖStA, HHStA, GdPFF, S.R., Kt. 17,2, Z. 1450 ex. 1899: Manuskript ohne Titel (wie
Anm. 1437), [pag. 1]. Der vollständige Wortlaut des Testaments ist im Beitrag von Tho-
mas Huber-Frischeis, Abschnitt 1.2, abgedruckt.
1444 FKBA26135, pag.17: „Ein leitendes Princip in Bezug auf die Richtung, welche die Biblio-
thek zu verfolgen hat, scheint bei der Gründung nicht vorgeschwebt zu haben.“
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken