Seite - 821 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
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GENESE EINER HABSBURG-LOTHRINGISCHEN FAMILIENSAMMLUNG 821
vom kommunikativen Gedächtnis der vorangegangenen Phase wesentlich
unterscheiden, bei dem die Erinnerung durch Zeitzeugen mündlich weiter-
gegeben wird und den Charakter des Alltäglichen nicht überschreitet. Die
Grenzen sind, wie Assmann selbst einräumt, nicht immer scharf zu ziehen.
Zwei wesentliche Aspekte des kulturellen Gedächtnisses – dass es nämlich
in hohem Maße konstruierte Elemente aufweist und immer einen gewissen
Deutungsanspruch erhebt – lassen sich allerdings unschwer anhand der
nachfolgend besprochenen Texte zur Entstehung und Geschichte der Fidei-
kommissbibliothek illustrieren.
Seit den frühen 1870er Jahren entstand eine Reihe von meist kürzeren
schriftlichen Arbeiten, die sich, großteils gedruckt, mit Entstehung, Ent-
wicklung und Eigenart der Fideikommissbibliothek befassten. Als Kulmi-
nations- und Endpunkt dieses Re-Konstruktions-Prozesses kann die Ab-
handlung über „Die Porträtsammlung der Nationalbibliothek“ von Wilhelm
Beetz aus dem Jahr 1935 angesehen werden, die die bisher gesammelten
Erkenntnisse und Ansichten zusammenfasst und bis auf weitere achtzig
Jahre das maßgebliche Referenzwerk für die Geschichte der Fideikommiss-
bibliothek abgeben sollte.1448 Wie sich aus meiner Wortwahl im Titel dieses
Abschnittes unschwer ableiten lässt, betrachte ich die besagten Texte nicht
unter dem Gesichtspunkt einer historischen Aufarbeitung, also nicht in dem
Sinn, dass dort belegbare Daten gesammelt und einer reflektierenden In-
terpretation zugeführt wurden. Denn sieht man von einigen wenigen Fällen
ab, die sich auf Aktenmaterial mit administrativer Relevanz beschränken,
so bleiben sämtliche Schilderungen die Nachweise ihrer Quellen schuldig.
Manches davon konnte im Rahmen eines Forschungsprojektes, dessen Er-
gebnisse als Vorläufer der vorliegenden Publikation veröffentlicht wurden,
entweder nicht verifiziert oder gar wiederlegt werden.1449 Tatsächlich ent-
puppten sich viele Angaben zur Geschichte der Fideikommissbibliothek, die
zwischen 1870 und 1935 niedergeschrieben wurden, bei genauer Prüfung als
bloße Mutmaßungen oder als gedankliche Konstruktionen.
Die konstruktive Phantasie der Autoren konnte sich in zwei Richtungen
entwickeln, je nachdem, auf welche Art von Inhalt des Narrativs sie sich
bezog. Einerseits ging es darum, Einzelheiten zu ergänzen, die prinzipiell
faktischer Natur wären, also eindeutig bestimmt werden könnten, wenn es
die Quellenlage zuließe (Wann hatte der Kaiser beschlossen, eine Bibliothek
zu gründen? Wann wurde das Gebäude errichtet, in dem diese untergebracht
war? Welche seiner Bücher las der Kaiser tatsächlich? etc.). Die andere Form
der konstruktiven Vervollständigung bezog sich auf weniger klar definier-
1448 Beetz, Porträtsammlung (1935).
1449 Huber-Frischeis/Knieling/Valenta Privatbibliothek.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken