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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM826
spricht sonst weiter nichts dafür, dass die Gründung der Bibliothek (oder
wenigstens der Entschluss dazu) schon davor in Florenz erfolgt war. Im Ge-
genteil, wenn man diese überhaupt mit einem konkreten Akt gleichsetzen
möchte, dann wäre dies wohl jene Absichtserklärung des Erzherzogs, die
durch einen Tagebucheintrag seines Obersthofmeisters Graf Colloredo-Wall-
see vom 19. Februar 1785 überliefert ist.1463 Wäre diese Quelle, die Wolfsgru-
ber erst gegen Ende des Jahrhunderts publizierte, bereits früher bekannt
gewesen, dann wäre zuvor vielleicht auch das Urteil über die Gründung der
Bibliothek etwas anders ausgefallen.1464
Ähnlich steht es mit dem Verhältnis des Kaisers zu den Wissenschaften,
zur Literatur und den Künsten und mit dem Nachweis, wie sich diese auf
die Kenntnis und den Gebrauch seiner Bibliothek auswirkten. Wir wissen
aus den Akten im Archiv der Fideikommissbibliothek, dass Franz I. regen
Anteil an der Erweiterung seiner Sammlung nahm und jeden Ankauf und
jede Schenkung genau überwachte. Doch lässt sich daraus nicht zwangsläu-
fig auf seine literarischen Interessen und Kenntnisse schließen. Tatsächlich
existieren kaum Belege dafür, ob und welche Bücher aus seiner Bibliothek
der Kaiser ganz oder teilweise gelesen hat. Becker aber ist bestrebt, ihm den
Habitus eines Gelehrten anzudichten. Die „planmäßige Sorge für die Biblio-
thek“ habe Franz I. „selbst in die Hand“ genommen, wobei „ein durch scharfe
Beobachtung gewonnenes Princip zu Grunde lag“. (Um welches Prinzip es
sich dabei handelt, erfahren wir allerdings nicht.) Außerdem hätte er „ein-
gehende bibliographische Studien“ betrieben und eine „genaue Kenntnis
seines Bücherschatzes“ besessen. In diesen Zusammenhang gehört auch die
meines Wissens von Becker das erste Mal formulierte und später oft wie-
derholte Mär, „dass der Kaiser zu einer Zeit, wo in der Sammlung schon
mehr als 40,000 Bände aufgestellt waren, jede zufällige Verschiebung in den
Fächern auf den ersten Blick wahrnahm, und so oft er sich ein Buch aus der
Bibliothek kommen ließ […] angab, wo man das Buch zu suchen habe.“1465
Im Hinblick auf die intellektuellen Interessen des Kaisers nicht unerheblich
ist die Aussage Beckes: „Die Werke des Königsberger Weisen scheinen dem
Kaiser Interesse eingeflösst zu haben, da sich Bemerkungen finden, die auf
Kant’s ‚metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre‘, sowie auf dessen
habe „Werke über Kunst und Archäologie“ oder gar „technische Monographien“ in seinem
Reisegepäck mitgeführt, entbehrt hingegen wohl jeglicher Grundlage.
1463 „Er hat den Gedanken gefasset, sich eine Bibliothek zusammenzusetzen, ging mit den Ge-
danken, wie Er solche rangieren, wie planen wollte.“ (Wien, ÖStA, HHStA, Hausarchiv,
SB 74, alt 40/2, Tagebuch von Franz Graf von Colloredo-Wallsee, fol. 70r).
1464 Wolfsgruber, Franz I., Bd. 2, 35. – Siehe etwa Jureczek, Porträtsammlung, 455, zur Port-
rätsammlung: „Der Zeitpunkt ihrer Entstehung ist nicht genau festzustellen“.
1465 Becker, Sammlungen, Bd. 1, Vorwort [pag. 2].
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken