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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM840
In welcher Beziehung stehen nun diese „politischen“ Huldigungsadressen
zu jenen zahlreichen künstlerisch gestalteten Objekten, die meist unter der
gleichen Bezeichnung als Widmungen an den Kaiser in die Fideikommiss-
bibliothek als ihrem definitiven Aufbewahrungsort gelangt sind? Um diese
Frage zu klären, müssen noch einige weitere kulturgeschichtlich relevante
Aspekte berücksichtigt werden.
Zunächst kann festgehalten werden, dass die Übergabe von Huldigungs-
adressen nicht beliebig erfolgte, sondern an festliche Anlässe gebunden
war: Krönungen, Hochzeiten, Geburten, Jubiläen aller Art etc. In dieser
Beziehung schließen sie an das Phänomen der sogenannten „Gelegenheits-
schriften“ an: Gedichte, die dem Monarchen meist in kalligraphischer Nie-
derschrift oder anderweitig künstlerisch gestalteter Form bei derartigen
„Gelegenheiten“ überreicht wurden und die in der Fideikommissbibliothek
ab dem frühen 19. Jahrhundert dokumentiert sind.1504 In den allermeisten
Fällen wurden solche Artefakte aber nicht von Körperschaften, sondern von
Privatpersonen verfasst und übergeben. Abgesehen von der bloßen Loyali-
tätsbekundung war damit oft auch die Aussicht auf den Erhalt eines Gna-
dengeschenkes oder irgendeiner anderen Form der Gunst des Herrschers
verbunden. Politische Absichten und Ansichten dürften bei den Gelegen-
heitsschriften hingegen so gut wie keine Rolle gespielt haben. Genau die-
ser Aspekt, der den Huldigungsadressen zumindest ursprünglich anhaftete,
und der damit in Verbindung stehende Umstand, dass sie so gut wie immer
von Korporationen überreicht wurden, machen sie zu einer Gattung, die vor
der Mitte des 19. Jahrhunderts im Habsburgerreich nicht existierte. Diese
Wahrnehmung wird auch durch die Einschätzung in einigen Quellen bestä-
tigt.1505
Um das Phänomen der Huldigungsadressen richtig zu begreifen, muss
man aber noch einen weiteren wesentlichen Aspekt berücksichtigen, der mit
bestimmten allgemeinen kulturgeschichtlichen und sozioökonomischen Ent-
wicklungstendenzen des 19. Jahrhunderts und weniger mit der originär po-
litischen Funktion der Adressen in Verbindung zu bringen ist. Dieser Aspekt
betrifft das äußere Erscheinungsbild der Huldigungsadressen, ihren „Phä-
notyp“ gewissermaßen. Wir haben gesehen, dass eine Adresse und somit
auch eine Huldigungsadresse ein an den Monarchen gerichteter Text ist, der
rhetorisch ausformuliert und in seiner konkreten Ausführung künstlerisch
(kalligraphisch etc.) gestaltet sein mag. Dieses Kernstück war und ist jedoch
nicht das Moment der optischen Attraktion, durch das die Huldigungsadres-
1504 Wien, ÖNB, BAG, „Glückwünsche, Trauerreden und ähnliche Gelegenheitsschriften“, 11
Boxen, Saal XII, Kasten 150 u. 152; „Miscellanea“, 11 Boxen, Saal VII, Kasten 45.
1505 FKBA37193, fol. 18r.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken