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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM870
erst, nachdem sie von den ursprünglichen Adressaten (Oberstkämmerer-
amt, Antikensammlung, Obersthofmarschallamt) an die Generaldirektion
weitergeleitet worden waren. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass die
Erwerbung in einem der Fälle ernsthaft erwogen wurde. Hinsichtlich der
Taschenuhr dürften deren zweifelhafte Provenienz und der hohe Kaufpreis
(2.000 Mark) Gründe genug gewesen sein, nicht näher darauf einzugehen.
Zu der von Hiersmann angebotenen Autographen-Sammlung existiert aller-
dings auch ein schriftliches Gutachten von Johann Jureczek, in dem die Mo-
tive für die Ablehnung festgehalten sind: Die Kollektion bestünde
„zum weitaus größten Teile aus Briefen, welche alle nicht vom Kaiser selbst,
sondern von und an Personen aus seiner Umgebung geschrieben worden sind
und ihrem Wesen nach wohl nur einzelne private Bemerkungen über ihn ent-
halten. Diese Briefe sind also keine Erinnerungsstücke an den Kaiser selbst
und haben mehr historischen Wert. Die wenigen Gegenstände, an welche sich
tatsächlich eine Erinnerung an den Kaiser knüpft (ein Taschenmesser, ein
Holzbein, ein Ordensband, das er bei der letzten Revue trug, zwei vom Kaiser
signierte Ordensdiplome, zwei unsignierte Briefe) könnten nur durch Ankauf
der ganzen Sammlung erworben werden, deren Preis (6450 M) ein unverhält-
nismäßig hoher ist.“1632
Von Interesse sind diese Bemerkungen auch deshalb, weil sie ein ganz be-
stimmtes Verständnis von Erinnerung bzw. Erinnerungsstück implizieren,
das modernen Konzeptionen des kollektiven historischen Gedächtnisses1633
durchaus nahe steht: Vorrangig war demnach nicht der „objektive“ doku-
mentarische Wert, sondern die quasi-auratische Beziehung des Objektes zu
jener Person, dessen Andenken es bewahren sollte.
Schließlich gab es noch eine letzte Gruppe von Kaufangeboten, die sich
auf Autographen von Habsburgern bezogen und die durch den Aspekt ver-
eint waren, dass sie alle von derselben Person an die Fideikommissbiblio-
thek herangetragen wurden. Es handelt sich um den bereits erwähnten
Carl von Hohenlocher,1634 dem es Ende 1911 ja tatsächlich gelungen war,
1632 FKBA37222, fol. 2r.
1633 Vgl. Assman: kulturelles Gedächtnis; Assmann: Erinnerungsräume.
1634 Zweifellos identisch mit Karl Hohenlocher (1891–1981), der laut Czeike in Wien, Ber-
lin, Rom und Paris Kunst- und Literaturgeschichte sowie Urkunden- und Handschrif-
tenkunde studiert hatte; 1934–44 arbeitete er als Antiquar in Berlin, ab 1951 war er
Experte für Autographen am Wiener Dorotheum (Czeike, Lexikon, Bd. 3, 56). Die Briefe
Hohenlochers im Archiv der Fideikommissbibliothek wurden zuerst aus Berlin, dann aus
München abgeschickt. Als er sie abfasste, war er also 20 bzw. 21 Jahre alt und zweifellos
noch Student. Ab 1911 bot er auch der Hofbibliothek in Wien Autographen zum Kauf an,
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken