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KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM926
den Zustand der Habsburgermonarchie –, dass es sich lohnt, abschließend
kurz darauf einzugehen.
Zunächst muss man festhalten, dass das Herrscherhaus zwar der Ge-
genstand, nicht aber der Adressat des Habsburgermuseums gewesen wäre:
Diese Rolle wäre wie beim Hohenzollernmuseum dem allgemeinen Pub-
likum zugefallen. Man beobachtet hier also die gleiche Verschiebung, die
zuvor bereits für die Nutzung der Fideikommissbibliothek im Allgemeinen
herausgestrichen wurde. Dies war aber gar nicht so selbstverständlich wie
es heute auf den ersten Blick erscheint. Noch Josef von Zhishman hatte bei
seiner Würdigung der Ausstellung im Augustinergangtrakt die Besuche aus
dem Kaiserhaus an erster Stelle als Maßstab des Erfolges angeführt und
erst danach, gewissermaßen zweitrangig, das Interesse des allgemeinen Pu-
blikums. In Schnürers Denkschriften zum Habsburgermuseum ist die Inten-
tion der Ausrichtung auf die Allgemeinheit jedoch offensichtlich und ebenso
deutlich tritt der propagandistische Zweck hervor, den er damit verfolgte:
Das Habsburgermuseum sollte die Loyalität zum Kaiserhaus und zur Mo-
narchie in der Bevölkerung fördern und damit den nationalistischen Ten-
denzen der einzelnen Völker entgegenwirken, die den Zusammenhalt des
Reiches zu sprengen drohten. Dieses Motiv erscheint plausibel; und dennoch
ist die geplante Wirksamkeit des Museums in die Öffentlichkeit nur die spe-
zifische Ausprägung eines allgemeineren Phänomens.
In einem vielzitierten Essay hat Eric Hobsbawm anhand vielfältiger Bei-
spiele aufgezeigt, wie sich in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg die
Repräsentanten traditioneller Herrschaftsstrukturen und Loyalitäten genö-
tigt sahen, ihre Legitimität und Akzeptanz in der Bevölkerung durch neue
mediale und „rituelle“ Ausdrucksformen aufrechtzuerhalten bzw. wieder-
herzustellen. Es war notwendig geworden, die „Wellenlänge“ der Öffentlich-
keit zu treffen; in konstruierten „mass-producing traditions“ mussten sich
alte Institutionen gewissermaßen „neu erfinden“. Die Ursachen dieses Phä-
nomens sieht Hobsbawm im gesellschaftlichen Wandel;1802 und auch wenn
damit ein sehr komplexes Geflecht von Veränderungen nur sehr allgemein
etikettiert ist, so können doch als wesentliche Konstanten darin ein Prozess
der Demokratisierung und die Entwicklung zur Massengesellschaft heraus-
geschält werden: Die Reichweite und die Ausdrucksformen der medialen
Produktion mussten eben an ein breiteres Publikum angepasst werden.
Dieser hypothetische Rahmen eignet sich anscheinend sehr gut als Erklä-
rungsansatz für die Darlegung der Motive, Strategien und Ziele von Schnü-
rers Projekt für ein Habsburgermuseum. Die Legitimität der Herrschaft
des Hauses Habsburg-Lothringen und des Reiches, das scheinbar nur noch
1802 Hobsbawm, Traditions, 263–268.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken