Seite - 11 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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kann, trotz solcher Unbequemlichkeiten seine Anziehung behält. Sollten einige von Ihnen von
dieser Art sein und mit Hinwegsetzung über meine Abmahnungen das nächste Mal hier wieder
erscheinen, so werden Sie mir willkommen sein. Sie haben aber alle ein Anrecht darauf zu
erfahren, welches die angedeuteten Schwierigkeiten der Psychoanalyse sind.
Zunächst die der Unterweisung, des Unterrichts in der Psychoanalyse. Sie sind im medizinischen
Unterricht daran gewöhnt worden zu sehen. Sie sehen das anatomische Präparat, den
Niederschlag bei der chemischen Reaktion, die Verkürzung des Muskels als Erfolg der Reizung
seiner Nerven. Später zeigt man Ihren Sinnen den Kranken, die Symptome seines Leidens, die
Produkte des krankhaften Prozesses, ja in zahlreichen Fällen die Erreger der Krankheit in
isoliertem Zustande. In den chirurgischen Fächern werden Sie Zeugen der Eingriffe, durch
welche man dem Kranken Hilfe leistet, und dürfen die Ausführung derselben selbst versuchen.
Selbst in der Psychiatrie führt Ihnen die Demonstration des Kranken an seinem veränderten
Mienenspiel, seiner Redeweise und seinem Benehmen eine Fülle von Beobachtungen zu, die
Ihnen tiefgehende Eindrücke hinterlassen. So spielt der medizinische Lehrer vorwiegend die
Rolle eines Führers und Erklärers, der Sie durch ein Museum begleitet, während Sie eine
unmittelbare Beziehung zu den Objekten gewinnen und sich durch eigene Wahrnehmung von der
Existenz der neuen Tatsachen überzeugt zu haben glauben.
Das ist leider alles anders in der Psychoanalyse. In der analytischen Behandlung geht nichts
anderes vor als ein Austausch von Worten zwischen dem Analysierten und dem Arzt. Der Patient
spricht, erzählt von vergangenen Erlebnissen und gegenwärtigen Eindrücken, klagt, bekennt seine
Wünsche und Gefühlsregungen. Der Arzt hört zu, sucht die Gedankengänge des Patienten zu
dirigieren, mahnt, drängt seine Aufmerksamkeit nach gewissen Richtungen, gibt ihm
Aufklärungen und beobachtet die Reaktionen von Verständnis oder von Ablehnung, welche er so
beim Kranken hervorruft. Die ungebildeten Angehörigen unserer Kranken – denen nur Sichtbares
und Greifbares imponiert, am liebsten Handlungen, wie man sie im Kinotheater sieht –
versäumen es auch nie, ihre Zweifel zu äußern, wie man »durch bloße Reden etwas gegen die
Krankheit ausrichten kann«. Das ist natürlich ebenso kurzsinnig wie inkonsequent gedacht. Es
sind ja dieselben Leute, die so sicher wissen, daß sich die Kranken ihre Symptome »bloß
einbilden«. Worte waren ursprünglich Zauber, und das Wort hat noch heute viel von seiner alten
Zauberkraft bewahrt. Durch Worte kann ein Mensch den anderen selig machen oder zur
Verzweiflung treiben, durch Worte überträgt der Lehrer sein Wissen auf die Schüler, durch
Worte reißt der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort und bestimmt ihre Urteile und
Entscheidungen. Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur Beeinflussung
der Menschen untereinander. Wir werden also die Verwendung der Worte in der Psychotherapie
nicht geringschätzen und werden zufrieden sein, wenn wir Zuhörer der Worte sein können, die
zwischen dem Analytiker und seinem Patienten gewechselt werden.
Aber auch das können wir nicht. Das Gespräch, in dem die psychoanalytische Behandlung
besteht, verträgt keinen Zuhörer; es läßt sich nicht demonstrieren. Man kann natürlich auch einen
Neurastheniker oder Hysteriker in einer psychiatrischen Vorlesung den Lernenden vorstellen. Er
erzählt dann von seinen Klagen und Symptomen, aber auch von nichts anderem. Die
Mitteilungen, deren die Analyse bedarf, macht er nur unter der Bedingung einer besonderen
Gefühlsbindung an den Arzt; er würde verstummen, sobald er einen einzigen, ihm indifferenten
Zeugen bemerkte. Denn diese Mitteilungen betreffen das Intimste seines Seelenlebens, alles was
er als sozial selbständige Person vor anderen verbergen muß, und im weiteren alles, was er als
einheitliche Persönlichkeit sich selbst nicht eingestehen will.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin