Seite - 18 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Bild der Seite - 18 -
Text der Seite - 18 -
Eigennamen die herannahende Migräne zu erkennen. Auch in der Aufregung verwechselt man oft
die Worte, aber auch die Dinge, man »vergreift sich«, und das Vergessen von Vorsätzen sowie
eine Menge von anderen unbeabsichtigten Handlungen wird auffällig, wenn man zerstreut, d. h.
eigentlich auf etwas anderes konzentriert ist. Ein bekanntes Beispiel solcher Zerstreutheit ist der
Professor der Fliegenden Blätter, der seinen Schirm stehenläßt und seinen Hut verwechselt, weil
er an die Probleme denkt, die er in seinem nächsten Buch behandeln wird. Beispiele dafür, wie
man Vorsätze, die man gefaßt, Versprechungen, die man gemacht hat, vergessen kann, weil man
inzwischen etwas erlebt hat, wovon man stark in Anspruch genommen wurde, kennt jeder von
uns aus eigener Erfahrung.
Das klingt so ganz verständig und scheint auch gegen Widerspruch gefeit zu sein. Es ist vielleicht
nicht sehr interessant, nicht so, wie wir es erwartet haben. Fassen wir diese Erklärungen der
Fehlleistungen näher ins Auge. Die Bedingungen, die für das Zustandekommen dieser
Phänomene angegeben werden, sind unter sich nicht gleichartig. Unwohlsein und
Zirkulationsstörung geben eine physiologische Begründung für die Beeinträchtigung der
normalen Funktion; Erregung, Ermüdung, Ablenkung sind Momente anderer Art, die man
psycho-physiologische nennen könnte. Diese letzteren lassen sich leicht in Theorie übersetzen.
Sowohl durch die Ermüdung wie durch die Ablenkung, vielleicht auch durch die allgemeine
Erregung, wird eine Verteilung der Aufmerksamkeit hervorgerufen, die zur Folge haben kann,
daß sich der betreffenden Leistung zu wenig Aufmerksamkeit zuwendet. Diese Leistung kann
dann besonders leicht gestört, ungenau ausgeführt werden. Leichtes Kranksein, Abänderungen
der Blutversorgung im nervösen Zentralorgan können dieselbe Wirkung haben, indem sie das
maßgebende Moment, die Verteilung der Aufmerksamkeit in ähnlicher Weise beeinflussen. Es
würde sich also in allen Fällen um die Effekte einer Aufmerksamkeitsstörung handeln, entweder
aus organischen oder aus psychischen Ursachen.
Dabei scheint nicht viel für unser psychoanalytisches Interesse herauszuschauen. Wir könnten
uns versucht fühlen, das Thema wieder aufzugeben. Allerdings, wenn wir näher auf die
Beobachtungen eingehen, stimmt nicht alles zu dieser Aufmerksamkeitstheorie der
Fehlleistungen oder leitet sich wenigstens nicht natürlich aus ihr ab. Wir machen die Erfahrung,
daß solche Fehlhandlungen und solches Vergessen auch bei Personen vorkommen, die nicht
ermüdet, zerstreut oder aufgeregt sind, sondern sich nach jeder Richtung in ihrem Normalzustand
befinden, es sei denn, man wolle den Betreffenden gerade wegen der Fehlleistung nachträglich
eine Aufgeregtheit zuschreiben, zu welcher sie sich aber selbst nicht bekennen. Es kann auch
nicht so einfach zugehen, daß eine Leistung durch die Steigerung der auf sie gerichteten
Aufmerksamkeit garantiert, durch die Herabsetzung derselben gefährdet wird. Es gibt eine große
Menge von Verrichtungen, die man rein automatisch, mit sehr geringer Aufmerksamkeit vollzieht
und dabei doch ganz sicher ausführt. Der Spaziergänger, der kaum weiß, wo er geht, hält doch
den richtigen Weg ein und macht am Ziele halt, ohne sich vergangen zu haben. Wenigstens in der
Regel trifft er es so. Der geübte Klavierspieler greift, ohne daran zu denken, die richtigen Tasten.
Er kann sich natürlich auch einmal vergreifen, aber wenn das automatische Spielen die Gefahr
des Vergreifens steigerte, müßte gerade der Virtuose, dessen Spiel durch große Übung ganz und
gar automatisch geworden ist, dieser Gefahr am meisten ausgesetzt sein. Wir sehen im Gegenteil,
daß viele Verrichtungen ganz besonders sicher geraten, wenn sie nicht Gegenstand einer
besonders hohen Aufmerksamkeit sind, und daß das Mißgeschick der Fehlleistung gerade dann
auftreten kann, wenn an der richtigen Leistung besonders viel gelegen ist, eine Ablenkung der
nötigen Aufmerksamkeit also sicherlich nicht stattfindet. Man kann dann sagen, das sei der Effekt
der »Aufregung«, aber wir verstehen nicht, warum die Aufregung die Zuwendung der
18
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin