Seite - 21 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Ähnlich verführerisch wie die Gegensatzbeziehung wirkt dann irgendeine andere geläufige
Assoziation, die unter Umständen recht unpassend auftauchen kann. So wird z. B. erzählt, daß bei
einer Festlichkeit zu Ehren der Heirat eines Kindes von H. Helmholtz mit einem Kinde des
bekannten Entdeckers und Großindustriellen W. Siemens der berühmte Physiologe Du
Bois-Reymond die Festrede zu halten hatte. Er schloß seinen sicherlich glänzenden Toast mit den
Worten: Also es lebe die neue Firma: Siemens und – Halske! Das war natürlich der Namen der
alten Firma. Die Zusammenstellung der beiden Namen mußte dem Berliner ebenso geläufig sein
wie etwa dem Wiener die: Riedel und Beutel.
So müssen wir also zu den Lautbeziehungen und zur Wortähnlichkeit noch den Einfluß der
Wortassoziationen hinzunehmen. Aber damit nicht genug. In einer Reihe von Fällen scheint die
Aufklärung des beobachteten Versprechens nicht eher zu gelingen, als bis wir mit in Betracht
gezogen haben, was einen Satz vorher gesprochen oder auch nur gedacht wurde. Also wiederum
ein Fall von Nachklingen, wie der von Meringer betonte, nur von größerer Ferne her. – Ich muß
gestehen, ich habe im ganzen den Eindruck, als wären wir jetzt einem Verständnis der
Fehlleistung des Versprechens ferner gerückt denn je!
Indes, ich hoffe nicht irrezugehen, wenn ich es ausspreche, daß wir alle während der eben
angestellten Untersuchung einen neuen Eindruck von den Beispielen des Versprechens
bekommen haben, bei dem zu verweilen sich doch lohnen könnte. Wir hatten die Bedingungen
untersucht, unter denen ein Versprechen überhaupt zustande kommt, dann die Einflüsse, welche
die Art der Entstellung durch das Versprechen bestimmen, aber den Effekt des Versprechens für
sich allein, ohne Rücksicht auf seine Entstehung, haben wir noch gar nicht ins Auge gefaßt.
Entschließen wir uns auch dazu, so müssen wir endlich den Mut finden zu sagen: In einigen der
Beispiele hat ja auch das einen Sinn, was beim Versprechen zustande gekommen ist. Was heißt
das, es hat einen Sinn? Nun, es will sagen, daß der Effekt des Versprechens vielleicht ein Recht
darauf hat, selbst als ein vollgültiger psychischer Akt, der auch sein eigenes Ziel verfolgt, als eine
Äußerung von Inhalt und Bedeutung aufgefaßt zu werden. Wir haben bisher immer von
Fehlhandlungen gesprochen, aber jetzt scheint es, als ob manchmal die Fehlhandlung selbst eine
ganz ordentliche Handlung wäre, die sich nur an die Stelle der anderen, erwarteten oder
beabsichtigten Handlung gesetzt hat.
Dieser eigene Sinn der Fehlhandlung scheint ja in einzelnen Fällen greifbar und unverkennbar zu
sein. Wenn der Präsident die Sitzung des Abgeordnetenhauses mit den ersten Worten schließt,
anstatt sie zu eröffnen, so sind wir infolge unserer Kenntnis der Verhältnisse, unter denen sich
dies Versprechen vollzog, geneigt, diese Fehlhandlung sinnvoll zu finden. Er erwartet sich nichts
Gutes von der Sitzung und wäre froh, sie sofort wieder abbrechen zu können. Das Aufzeigen
dieses Sinnes, also die Deutung dieses Versprechens macht uns gar keine Schwierigkeiten. Oder
wenn eine Dame anscheinend anerkennend eine andere fragt: Diesen reizenden neuen Hut haben
Sie sich wohl selbst aufgepatzt? – so wird keine Wissenschaftlichkeit der Welt uns abhalten
können, aus diesem Versprechen eine Äußerung herauszuhören: Dieser Hut ist eine Patzerei.
Oder wenn eine als energisch bekannte Dame erzählt: Mein Mann hat den Doktor gefragt, welche
Diät er einhalten soll. Der Doktor hat aber gesagt, er braucht keine Diät, er kann essen und
trinken, was ich will, so ist dies Versprechen doch anderseits der unverkennbare Ausdruck eines
konsequenten Programms.
Meine Damen und Herren, wenn es sich herausstellen sollte, daß nicht nur einige wenige Fälle
von Versprechen und von Fehlleistungen überhaupt einen Sinn haben, sondern eine größere
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin