Seite - 31 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Probleme der Fehlleistungen gekommen sind. Differenzen, die wir derzeit noch gar nicht
auszugleichen verstehen. Ich biete Ihnen ein vorläufiges Kompromiß an auf Grund des
Gleichnisses vom Richter und vom Angeklagten. Sie sollen mir zugeben, daß der Sinn einer
Fehlleistung keinen Zweifel zuläßt, wenn der Analysierte ihn selbst zugibt. Ich will Ihnen dafür
zugestehen, daß ein direkter Beweis des vermuteten Sinnes nicht zu erreichen ist, wenn der
Analysierte die Auskunft verweigert, natürlich ebenso, wenn er nicht zur Hand ist, um uns
Auskunft zu geben. Wir sind dann, wie im Falle der Rechtspflege, auf Indizien angewiesen,
welche uns eine Entscheidung einmal mehr, ein andermal weniger wahrscheinlich machen
können. Bei Gericht muß man aus praktischen Gründen auch auf Indizienbeweise hin schuldig
sprechen. Für uns besteht eine solche Nötigung nicht; wir sind aber auch nicht gezwungen, auf
die Verwertung solcher Indizien zu verzichten. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß eine
Wissenschaft aus lauter streng bewiesenen Lehrsätzen besteht, und ein Unrecht, solches zu
fordern. Diese Forderung erhebt nur ein autoritätssüchtiges Gemüt, welches das Bedürfnis hat,
seinen religiösen Katechismus durch einen anderen, wenn auch wissenschaftlichen, zu ersetzen.
Die Wissenschaft hat in ihrem Katechismus nur wenige apodiktische Sätze, sonst Behauptungen,
die sie bis zu gewissen Stufengraden von Wahrscheinlichkeit gefördert hat. Es ist geradezu ein
Zeichen von wissenschaftlicher Denkungsart, wenn man an diesen Annäherungen an die
Gewißheit sein Genüge finden und die konstruktive Arbeit trotz der mangelnden letzten
Bekräftigungen fortsetzen kann.
Woher nehmen wir aber die Anhaltspunkte für unsere Deutungen, die Indizien für unseren
Beweis im Falle, daß die Aussage des Analysierten den Sinn der Fehlleistung nicht selbst
aufklärt? Von verschiedenen Seiten her. Zunächst aus der Analogie mit Phänomenen außerhalb
der Fehlleistungen, z. B. wenn wir behaupten, daß das Namenentstellen als Versprechen
denselben schmähenden Sinn hat wie das absichtliche Namenverdrehen. Sodann aber aus der
psychischen Situation, in welcher sich die Fehlleistung ereignet, aus unserer Kenntnis des
Charakters der Person, welche die Fehlhandlung begeht, und der Eindrücke, welche diese Person
vor der Fehlleistung betroffen haben, auf die sie möglicherweise mit dieser Fehlleistung reagiert.
In der Regel geht es so vor sich, daß wir nach allgemeinen Grundsätzen die Deutung der
Fehlleistung vollziehen, die also zunächst nur eine Vermutung, ein Vorschlag zur Deutung ist,
und uns dann die Bestätigung aus der Untersuchung der psychischen Situation holen. Manchmal
müssen wir auch kommende Ereignisse abwarten, welche sich durch die Fehlleistung gleichsam
angekündigt haben, um unsere Vermutung bekräftigt zu finden.
Ich kann Ihnen die Belege hiezu nicht leichter erbringen, wenn ich mich auf das Gebiet des
Versprechens einschränken soll, obwohl sich auch hier einzelne gute Beispiele ergeben. Der
junge Mann, der eine Dame begleitdigen möchte, ist gewiß ein Schüchterner; die Dame, deren
Mann essen und trinken darf, was sie will, kenne ich als eine der energischen Frauen, die das
Regiment im Hause zu führen verstehen. Oder nehmen Sie folgenden Fall: In einer
Generalversammlung der »Concordia« hält ein junges Mitglied eine heftige Oppositionsrede, in
deren Verlauf er die Vereinsleitung als die Herren »Vorschußmitglieder« anredet, was aus
Vorstand und Ausschuß zusammengesetzt erscheint. Wir werden vermuten, daß sich bei ihm eine
störende Tendenz gegen seine Opposition regte, die sich auf etwas, was mit einem Vorschuß zu
tun hatte, stützen konnte. In der Tat erfahren wir von unserem Gewährsmann, daß der Redner in
steten Geldnöten war und gerade damals ein Darlehensgesuch eingebracht hatte. Als störende
Intention ist also wirklich der Gedanke einzusetzen: mäßige dich in deiner Opposition; es sind
dieselben Leute, die dir den Vorschuß bewilligen sollen.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin