Seite - 32 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Ich kann Ihnen aber eine reiche Auswahl solcher Indizienbeweise vorlegen, wenn ich auf das
weite Gebiet der anderen Fehlleistungen übergreife.
Wenn jemand einen ihm sonst vertrauten Eigennamen vergißt oder ihn trotz aller Mühe nur
schwer behalten kann, so liegt uns die Annahme nahe, daß er etwas gegen den Träger dieses
Namens hat, so daß er nicht gerne an ihn denken mag; nehmen Sie die nachstehenden
Aufdeckungen der psychischen Situation, in welcher diese Fehlleistung eintrat, hinzu:
»Ein Herr Y verliebte sich erfolglos in eine Dame, welche bald darauf einen Herrn X heiratete.
Trotzdem nun Herr Y den Herrn X schon seit geraumer Zeit kennt und sogar in geschäftlichen
Verbindungen mit ihm steht, vergißt er immer und immer wieder dessen Namen, so daß er sich
mehrere Male bei anderen Leuten danach erkundigen mußte, als er mit Herrn X korrespondieren
wollte.«[2]
Herr Y will offenbar nichts von seinem glücklichen Rivalen wissen. »Nicht gedacht soll seiner
werden.«
Oder: Eine Dame erkundigt sich bei dem Arzt nach einer gemeinsamen Bekannten, nennt sie aber
bei ihrem Mädchennamen. Den in der Heirat angenommenen Namen hat sie vergessen. Sie
gesteht dann zu, daß sie mit dieser Heirat sehr unzufrieden war und den Mann dieser Freundin
nicht leiden mochte[3].
Wir werden vom Namenvergessen noch in anderen Hinsichten manches zu sagen haben; jetzt
interessiert uns vorwiegend die psychische Situation, in welche das Vergessen fällt.
Das Vergessen von Vorsätzen läßt sich ganz allgemein auf eine gegensätzliche Strömung
zurückführen, welche den Vorsatz nicht ausführen will. So denken aber nicht nur wir in der
Psychoanalyse, sondern es ist die allgemeine Auffassung der Menschen, der sie im Leben alle
anhängen, die sie erst in der Theorie verleugnen. Der Gönner, der sich vor seinem Schützling
entschuldigt, er habe dessen Bitte vergessen, ist vor ihm nicht gerechtfertigt. Der Schützling
denkt sofort: Dem liegt nichts daran; er hat es zwar versprochen, aber er will es eigentlich nicht
tun. In gewissen Beziehungen ist daher auch im Leben das Vergessen verpönt, die Differenz
zwischen der populären und der psychoanalytischen Auffassung dieser Fehlleistungen scheint
aufgehoben. Stellen Sie sich eine Hausfrau vor, die den Gast mit den Worten empfängt: Was,
heute kommen Sie? Ich habe ja ganz vergessen, daß ich Sie für heute eingeladen hatte. Oder den
jungen Mann, welcher der Geliebten gestehen sollte, daß er vergessen hatte, das letztbesprochene
Rendezvous einzuhalten. Er wird es gewiß nicht gestehen, lieber aus dem Stegreife die
unwahrscheinlichsten Hindernisse erfinden, die ihn damals abgehalten haben zu kommen und es
ihm seither unmöglich gemacht haben, davon Nachricht zu geben. Daß in militärischen Dingen
die Entschuldigung, etwas vergessen zu haben, nichts nützt und vor keiner Strafe schützt, wissen
wir alle und müssen es berechtigt finden. Hier sind mit einem Male alle Menschen darin einig,
daß eine bestimmte Fehlhandlung sinnreich ist und welchen Sinn sie hat. Warum sind sie nicht
konsequent genug, diese Einsicht auf die anderen Fehlleistungen auszudehnen und sich voll zu
ihr zu bekennen? Es gibt natürlich auch hierauf eine Antwort.
Wenn der Sinn dieses Vergessens von Vorsätzen auch den Laien so wenig zweifelhaft ist, so
werden Sie um so weniger überrascht sein zu finden, daß Dichter diese Fehlleistung in demselben
Sinne verwerten. Wer von Ihnen Cäsar und Kleopatra von B. Shaw gesehen oder gelesen hat,
wird sich erinnern, daß der scheidende Cäsar in der letzten Szene von der Idee verfolgt wird, er
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin