Seite - 40 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Deutung schließt die Annahme ein, daß sich bei dem Sprecher Intentionen äußern können, von
denen er selbst nichts weiß, die ich aber aus Indizien erschließen kann. Vor einer so neuartigen
und folgenschweren Annahme machen Sie halt. Ich verstehe das und gebe Ihnen insoweit recht.
Aber stellen wir das eine fest: Wenn Sie die an so vielen Beispielen erhärtete Auffassung der
Fehlleistungen konsequent durchführen wollen, müssen Sie sich zu der genannten befremdenden
Annahme entschließen. Können Sie das nicht, so müssen Sie auf das kaum erworbene
Verständnis der Fehlleistungen wiederum verzichten.
Verweilen wir noch bei dem, was die drei Gruppen einigt, was den drei Mechanismen des
Versprechens gemeinsam ist. Das ist zum Glück unverkennbar. In den beiden ersten Gruppen
wird die störende Tendenz vom Sprecher anerkannt; in der ersten kommt noch hinzu, daß sie sich
unmittelbar vor dem Versprechen gemeldet hat. In beiden Fällen ist sie aber zurückgedrängt
worden. Der Sprecher hat sich entschlossen, sie nicht in Rede umzusetzen, und dann passiert ihm
das Versprechen, d. h. dann setzt sich die zurückgedrängte Tendenz gegen seinen Willen in eine
Äußerung um, indem sie den Ausdruck der von ihm zugelassenen Intention abändert, sich mit ihm
vermengt oder sich geradezu an seine Stelle setzt. Dies ist also der Mechanismus des
Versprechens.
Ich kann von meinem Standpunkt auch den Vorgang in unserer dritten Gruppe in den schönsten
Einklang mit dem hier beschriebenen Mechanismus bringen. Ich brauche nur anzunehmen, daß
diese drei Gruppen durch die verschieden weit reichende Zurückdrängung einer Intention
unterschieden werden. In der ersten ist die Intention vorhanden und macht sich vor der Äußerung
des Sprechers ihm bemerkbar; erst dann erfährt sie die Zurückweisung, für welche sie sich im
Versprechen entschädigt. In der zweiten Gruppe reicht die Zurückweisung weiter; die Intention
wird bereits vor der Redeäußerung nicht mehr bemerkbar. Merkwürdig, daß sie dadurch
keineswegs abgehalten wird, sich an der Verursachung des Versprechens zu beteiligen! Durch
dies Verhalten wird uns aber die Erklärung für den Vorgang bei der dritten Gruppe erleichtert.
Ich werde so kühn sein, anzunehmen, daß sich in der Fehlleistung auch noch eine Tendenz
äußern kann, welche seit längerer Zeit, vielleicht seit sehr langer Zeit, zurückgedrängt ist, nicht
bemerkt wird und darum vom Sprecher direkt verleugnet werden kann. Aber lassen Sie selbst das
Problem der dritten Gruppe beiseite; Sie müssen aus den Beobachtungen an den anderen Fällen
den Schluß ziehen, daß die Unterdrückung der vorhandenen Absicht, etwas zu sagen, die
unerläßliche Bedingung dafür ist, daß ein Versprechen zustande kommt.
Wir dürfen nun behaupten, daß wir im Verständnis der Fehlleistungen weitere Fortschritte
gemacht haben. Wir wissen nicht nur, daß sie seelische Akte sind, an denen man Sinn und
Absicht erkennen kann, nicht nur, daß sie durch die Interferenz von zwei verschiedenen
Intentionen entstehen, sondern außerdem noch, daß die eine dieser Intentionen eine gewisse
Zurückdrängung von der Ausführung erfahren haben muß, um sich durch die Störung der
anderen äußern zu können. Sie muß selbst erst gestört worden sein, ehe sie zur störenden werden
kann. Eine vollständige Erklärung der Phänomene, die wir Fehlleistungen nennen, ist damit
natürlich noch nicht gewonnen. Wir sehen sofort weitere Fragen auftauchen und ahnen
überhaupt, daß sich um so mehr Anlässe zu neuen Fragen ergeben werden, je weiter wir im
Verständnis kommen. Wir können z. B. fragen, warum es nicht viel einfacher zugeht. Wenn die
Absicht besteht, eine gewisse Tendenz zurückzudrängen anstatt sie auszuführen, so sollte diese
Zurückdrängung so gelingen, daß eben nichts von jener zum Ausdruck kommt, oder sie könnte
auch mißlingen, so daß die zurückgedrängte Tendenz sich vollen Ausdruck schafft. Die
Fehlleistungen sind aber Kompromißergebnisse, sie bedeuten ein halbes Gelingen und ein halbes
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Titel
- Schriften von Sigmund Freud
- Untertitel
- (1856–1939)
- Autor
- Sigmund Freud
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 21.6 x 28.0 cm
- Seiten
- 2789
- Schlagwörter
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Kategorien
- Geisteswissenschaften
- Medizin